Merkel: "Multikulti bleibt eine Lebenslüge"

"Wir schaffen das." Angela Merkel versucht, ihre Partei in der Flüchtlingspolitik zu einen.REUTERS
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In ihrer Parteitagsrede pocht Merkel auf europäische Solidarität und deutsche Tugenden in der Flüchtlingskrise. Sie erhält Rückendeckung für ihre Flüchtlingspolitik.

Auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe haben die knapp tausend Delegierten mit wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen dem Antrag der Parteispitze zur Flüchtlings- und Asylpolitik zugestimmt. Die Parteibasis stellte sich damit am Montag hinter den Kurs von CDU-Chefin Angela Merkel. In dem Antrag der Parteispitze heißt es: "Wir sind entschlossen, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern. Denn ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde Staat und Gesellschaft, auch in einem Land wie Deutschland, auf Dauer überfordern." 

Die deutsche Bundeskanzlerin hatte zuvor in einer Rede für ihre Politik geworben, nachdem es in den vergangenen Wochen wiederholt Kritik aus Teilen der CDU daran gegeben hatte. Es sei für sie ein wichtiges Jahr gewesen, spannte die Kanzlerin zu Beginn einen großen Bogen über die wesentlichen Ereignisse 2015: Charlie Hebdo, Ukraine, Germanwings-Katastrophe, G7-Gipfel, Flüchtlingskrise, Paris-Terror. Es ist vor allem Merkels Flüchtlingspolitik, die sie den rund 1000 Delegierten in Karlsruhe einmal mehr erklären will. "Ich möchte, dass Europa diese Bewährungsprobe besteht".

Und Merkel zitierte sich selbst. Ihr "Wir schaffen das" ging um die Welt und sie sei überrascht von der Reaktion gewesen. Doch es gehöre zur Identität Deutschlands, Großes zu leisten. Deutschland könne trotz des Ansturms von Hunderttausenden Schutzsuchenden seine Grenzen nicht schließen, sagte Merkel. "Abschottung im 21. Jahrhundert ist keine vernünftige Option." Deutschland müsse ein weltoffenes und vielfältiges Land bleiben. 

Merkel: Migranten sollen Gesetze achten

Ihren parteiinternen Widersachern wie dem hessischen Ministerpräsident Volker Bouffier oder der Jungen Union dankte sie explizit für die Mitgesaltung an der "Karlsruher Erklärung". Es sei "richtig und wichtig" gewesen, um eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik zu kämpfen. Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland zu reduzieren, sei im deutschen und europäischen Interesse. Von den Flüchtlingen verlangte die CDU-Vorsitzende Achtung vor deutschen Gesetzen, Werten und Traditionen: "Unsere Gesetze stehen über Ehrenkodex, Stammes- und Familienregeln." Weiter sagte sie: "Multikulti führt in Parallelgesellschaften und Multikulti bleibt damit eine Lebenslüge."

Die deutsche Kanzlerin pocht in ihrer Rede vor allem auf die Solidarität innerhalb Europas und lobt den EU-Türkei-Aktionsplan. Drei Milliarden Euro würden die Lebenssituation der Flüchtlinge in der Türkei verbessern. Der Schutz der Außengrenzen sei derzeit nicht gewährleistet. Man könne nicht erwarten, dass Italien und Griechenland alle Flüchtline aufnehmen, aber man könne erwarten, dass "Hot Spots" errichtet werden und das Flüchtlingen dort ein rechtsstaatliches Verfahren ermöglicht wird. Auch die Verteilung aus diesen Hot Spots wäre die Aufgabe von Italien und Griechenland.

Hart umkämpfter Kompromiss

Einen offenen Streit in ihrer Partei konnte Merkel vermeiden. Das ganze Wochenende über hat sie ihre Parteikollegen an einem Kompromiss basteln lassen. Umgesetzt solle eine Verringerung "nicht durch einseitige nationale Maßnahmen alleine, sondern indem wir da ansetzen, wo Flüchtlinge ihre Heimat verlassen müssen". Aus CDU-Parteikreisen verlautete zur Begründung des Leitantrags, ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde Staat und Gesellschaft auch in einem Land wie Deutschland dauerhaft überfordern.

Das Wort "Obergrenze" wird tunlichst vermieden, auch wenn etwa die bayerische CSU oder auch die junge CDU das gerne hören würden. Die Kanzlerin betonte, sie habe im Parteivorstand volle Rückendeckung für ihren Kurs erhalten. Es habe nur eine Gegenstimme gegeben. Der CDU-Parteitag soll heute über den Leitantrag zur Flüchtlingspolitik beraten und abstimmen. Mehr als ein gesichtswahrendes Entgegenkommen dürften auch die schärfsten Kritiker kaum aus dem Kompromisspapier herauslesen. Selbst wenn nun das Wort von der Überforderung gefallen ist.

Nicht so wie Gabriel

Schlechter als bei Merkels Vizekanzler Sigmar Gabriel von der SPD kann es in Karlsruhe aber für die deutsche Kanzlerin kaum laufen. Dass ein Viertel der Genossen dem Kurs von Parteichef Sigmar Gabriel drei Monate vor wichtigen Landtagswahlen nicht folgt und sich auf offener Bühne gern als linker Wünsch-Dir-Was-Verein präsentiert, war für die Union ein unverhofftes Geschenk. Doch nur auf den ersten Blick. Mit einem geschwächten Gabriel könnte es in der Koalition ungemütlicher werden.

Der Parteichef und seine Getreuen versuchten am Wochenende wortreich, das Debakel vom Parteitag am Freitag zum strategischen Glücksfall umzudeuten. "Klarheit in der Sache ist besser als hundertprozentige Wahlergebnisse", sagte der zerrupfte Anführer selbst.

Niemand aber sollte sich von Gabriels trotziger Reaktion auf die 74,3 Prozent täuschen lassen. Wer als Vizekanzler, Wirtschaftsminister und Parteichef ein solches Pensum im SPD-Dienst abreißt wie er, ist nach so einem Tiefschlag im Innersten getroffen. Doch wer gekränkt ist, könnte eher Fehler machen. Unwahrscheinlich ist, dass Gabriel bei der Kanzlerkandidatur einen Rückzieher macht. Er meint es ernst, sagen Vertraute. Wie ein Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder dürfte Gabriel seiner Partei nun erst recht unbequeme Entscheidungen zumuten. Die SPD kann sich auf noch mehr Basta einstellen.

(APA/dpa/klepa)

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