Der Hutmacher von Wien

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Die Werkstatt in einem Hinterhof gleich in der Nähe des Museumsquartiers sieht aus, als ob sich seit 100 Jahren nichts verändert hätte. Shmuel Shapira empfängt hier seine Kunden – Franzosen, Engländer, Japaner.

George Bernard Shaw meinte: „Das am wenigsten bekannte Land liegt unterm Hut.“ So etwas würde Shmuel Shapira nie sagen. Erstens ist er ein toleranter, respektvoller Mensch, und zweitens interessiert ihn weniger das, was unter dem Hut steckt, als das, was oben auf dem Kopf sitzt. Dem Hut, besser: dem Kunstwerk, gilt sein einziges Interesse. Konkret geht es um den Herrenhut, „Damenhüte sind was ganz anderes, das sind Kleidungsstücke“, mit denen befasst er sich nicht einmal im Traum.

Wer sich der Werkstatt des Handwerkers im Hinterhof eines Hauses gleich neben dem Wiener Museumsquartier nähert, kommt vorerst an einer Vitrine mit allerlei Modellen – vom Stetson über den Zylinder bis zum Jägerhut – vorbei, geht dann ein paar Stufen hinauf, geleitet von einem verblichenen Schild mit der Aufschrift „Hutmacher“, und landet in einer Werkstatt, die aussieht, als ob sie vor hundert Jahren eingerichtet und seither nie mehr verändert worden wäre. Auf hohen Regalen, die bis an die Decke reichen, stehen übereinander gestülpt Rohlinge von Hüten, daneben findet sich allerlei Accessoire wie Seidenbänder oder Gamsbärte und eigenartige Gerätschaften. Eine Art Ofen beim Eingang dient dem Eindampfen und Formen, eine Handpresse sorgt für die Festigkeit des Filzes, und eine ovale, gerippte Holzform, den „Conformateur“, wird uns der Hutmacher später noch vorführen.

So altmodisch und verstaubt die Werkstatt wirkt, die Hüte, die dort gefertigt werden, sind zeitgemäß. Und dass Herr Shapira sich auf die Gesetzmäßigkeiten der modernen Welt versteht, zeigt seine Homepage, auf der er stets als „Meister Shapira“ tituliert wird. Von einer „Biedermeier-Werkstätte“ ist da die Rede, von einer „nostalgischen“ Welt, das abblätternde Schild wird zum „Originalschild aus der Gründerzeit“. Auch seine Kunden scheint Shapiras Arbeitsplatz außerordentlich zu beeindrucken. So schreibt ein englischer Botschafter auf der Homepage über einen „faszinierenden Einblick in Tradition und Stil“ und ein anderer Besucher berichtet gar von einer „Abenteuerreise in ein geheimes Vergnügen“.


Zylinder, Traveller, Homburg. Shmuel Shapira, der Meister der verborgenen Werkstatt, ist jedenfalls ganz von Hier und Heute. Er hat mit „Szaszi Hüte“ vor einigen Jahren einen Traditionsbetrieb übernommen, der seit 1858 die feine Gesellschaft mit allem versorgt, was der Kopf zu tragen verpflichtet ist: Zylindern, Travellers, Classics im italienischen Stil, Homburgs, Zwei- oder Dreispitzen, Strohhüten, Melonen und Panamahüten. Fragt man ihn, wie er zur Hutmacherei gekommen sei, erfährt man keine Details. Er habe das Geschäft vom Nachfolger der Familie Szaszi als Spätberufener gelernt, der es ihm dann wegen einer Erkrankung übergeben hat. Es habe ihn zu diesem Beruf gezogen, sagt Shapira, und so schwierig wie Programmierer oder Mathematikprofessor sei das alles nicht, „es geht sich zu lernen“. Inzwischen sei er einer der wenigen Wiener Hutmacher, die das Prinzip des „Bespoken“ verfolgen. Jeder Hut wird mit dem Kunden im Detail abgesprochen, auf Wünsche und besondere Gesichtsform abgestimmt und individuell gefertigt. Der Mann, so lautet Shapiras Credo, muss genau wissen, ob er einen Hut kaufen und was er damit ausdrücken will. Wie überhaupt der Hut allein geeignet sei, den Mann so darzustellen, wie er gesehen werden will. Der Hut, so lautet die Philosophie seines Machers, ist Signal. „Sie können überall hin mit Jeans gehen, mit den teuersten Sakkos, das sagt nichts über Sie, aber mit dem Hut zeigt man: Das bin ich!“ Man könne verschiedene Identitäten annehmen, indem man den Hut wechselt. Da lässt es sich einmal verwegen daherkommen, dann seriös und anderntags als Filou oder Mafiaboss.

Seine Kunden sind Männer, die sich handgemachte Schuhe leisten und die ihre Kleidung beim Schneider machen lassen. Sie kommen zumeist über persönliche Empfehlung und sind bereit, auch einmal ein, zwei Monate auf das gute Stück zu warten und einen entsprechend hohen Preis zu zahlen. Zumindest eine Woche lang arbeitet Shapira an einem Hut und muss daher für seine Arbeit auch einiges verlangen: „Jeder Hut braucht so viel Überlegung wie eine ganze Serie in der Industrie, von der dann vielleicht 50.000 Stück hergestellt werden.“ Und so wie Passform, Art des Hutes und jedes Detail seiner Ausführung individuell festgelegt werden, muss auch der Preis des Einzelstücks mit dem Meister vereinbart werden. Billig, so viel lässt sich sagen, ist der Einkauf nicht.

Am Anfang des Hutmachens steht der Conformateur, mit dem der Meister die Größe und Form des Kopfes bestimmen kann. Shapira zeigt gerne, wie wichtig es ist, jede kleine Ausbuchtung und Unregelmäßigkeit des Kopfes zu kennen, um den idealen Hut herzustellen. Und auch die Größe des Gesichtes muss er berücksichtigen, soll zwischen dem schönen Hut und dem zu seinem Tragen notwendigen Unterteil gute Harmonie bestehen. Flüssiger Schellack wird auf einen Stumpen aufgetragen, um die erste Form zu kreieren und den Rohling zu härten, dann gilt es die Krone mit Hilfe von Holzmodeln aufzubauen, die teilweise mehr als hundert Jahre alt sind, um schließlich den Filz in der Handpresse zu festigen und ihm seine endgültige Form zu geben. Am Ende werden die Hüte noch mit Schmirgelpapier seidig gerieben und die Ausstattung wie Schweißbänder und Hutbänder angebracht.

Jüdische Kunden sind selten, seien doch Juden gewohnt, sich öfter einen Hut zu kaufen, der dann billiger sein muss. „Ich kann leider nichts machen, was in ein paar Jahren kaputtgeht“, bedauert Shapira. „Ich kann nicht, ich probier alles, aber es hält. Ich will es ein bisschen billiger und noch ein bisschen günstiger machen – es geht nicht.“ So kaufen seine Freunde ihre Hüte weiter in Israel. Der jüdische Meister aus Wien umsorgt Franzosen, Engländer und Japaner. Wichtig ist, dass der Hut gesehen wird, denn er bestimmt Image und Wohl des Trägers. So war es schon im Biedermeier.
Der Artikel erscheint auch in der jüdischen Zeitschrift NU, dessen Chefredakteur Peter Menasse ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2009)

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