Wie war das mit Weihnachten?

Vier brennende Kerzen auf Adventskranz
Vier brennende Kerzen auf AdventskranzErwin Wodicka - BilderBox.com
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Die religiöse Landkarte wird umgezeichnet. Nichts ist (mehr), wie es scheint. Österreichs bekanntester Pfarrer Faber sagt dennoch: Die katholische Kirche bleibt Teil der DNA des Landes.

Es kommt nicht oft vor, dass eine Frau einem Mann, dem sie noch nie begegnet ist, Blicke nachwirft. Oder ihn gar anspricht. Da muss man schon katholischer Priester und als solcher auch mit dem aus dem Stadtbild verschwundenen typischen Kragen, dem Kollar, erkenntlich sein, um Derartiges zu erleben. Man muss Toni Faber heißen.

„Ich habe Sie noch nie live gesehen“, meint eine junge Frau, die sich an diesem späten, vorweihnachtlich geschäftigen Nachmittag auf dem Stephansplatz im Vorbeigehen an ihn wendet. Ihr Begleiter, Händchen haltend, zieht sie wenig geschmeidig weiter Richtung Kärntner Straße. Faber lächelt. Österreichs bekanntester Pfarrer, Hausherr der Kirche des Landes, des Stephansdoms, Seelentröster kirchlich Heimatloser aus dem Spezialsegment Society, freut sich über derlei Sympathiekundgebungen. Er bezieht sie auf sein Dasein als Priester, als amtlicher Vertreter der Kirche, wie er nach dem Foto-Shooting später beim Gespräch im Churhaus, direkt neben dem Dom, sagen wird. Der Lärm rund um die Buden des Weihnachtsmarkts reicht hinauf in den ersten Stock, ins Pfarrbüro. Im Herzen der Stadt. Inmitten pulsierenden Lebens. „Die Leute wollen einen berührbaren Priester haben. Ich will erreichbar sein“, sagt Faber. Er formuliert unaufgeregt, rasch. Als ob er sich schon oft bei Mitbrüdern für die hohe Medienpräsenz entschuldigen hätte müssen.

Ohne Franziskus-Effekt. Apropos Medienpräsenz. Die genießt weltweit ein anderer Priester in besonderem Maße, Papst Franziskus. Faber findet den Neuen in Rom „fantastisch“. Und: „Wir liegen goldrichtig mit ihm.“ Gleichzeitig wundert er sich, dass es keinen in Zahlen messbaren Franziskus-Effekt gibt. Bei ihm im Dom zwar, da gebe es bei den neun Sonntagsmessen „volles Haus“, sagt er. Voll werden die anderen Kirchen auch in wenigen Tagen sein, bei den Christmetten am 24. Dezember.


Bald jeder fünfte Wiener Muslim. Aber sonst? In Wien ist der Anteil regelmäßiger Besucher der Sonntagsmesse auf zwei Prozent der Katholiken abgesackt. Außerhalb der Großstadt sind die Bindungen nicht ganz so lose geworden. Im Durchschnitt Österreichs werden elf Prozent Kirchgänger gezählt – ein Anteil, der sich innerhalb nur zweier Jahrzehnte halbiert hat.

Fast verdoppeln wird sich demgegenüber in den nächsten 30 Jahren der Anteil der Muslime in Wiens Bevölkerung. Demografie-Expertin Anne Valia Goujon hat für die Akademie der Wissenschaften eine Studie erstellt, in der sie bisherige Entwicklungen hochrechnet. Demzufolge sinkt der Katholikenanteil von derzeit 39 auf 33 Prozent im Jahr 2046. Gleichzeitig wird in 30 Jahren jeder fünfte in Wien Lebende ein Muslim sein (genau werden 21 Prozent prognostiziert, gegenüber den derzeit zwölf Prozent). Aufschlussreich auch der Blick auf die Altersstruktur: 2046 wird der durchschnittliche Katholik 48 Jahre alt sein – das Durchschnittsalter der Muslime hingegen, das wird bei 32 liegen. Man kann erahnen, wie sich dieses Faktum auf die Entwicklung 2046 ff. auswirken wird.

Dompfarrer Faber sieht es nicht als Gesundbeten, wenn er trotz allem sagt: „Die katholische Kirche bleibt Teil der DNA des Landes.“ Auch Regina Polak, die am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien lehrt, weiß natürlich um den Wandel der Religiosität in Österreich. Was Polak an den öffentlich geführten Debatten stört, ist die starke Konzentration auf den Islam. Dabei werde die Zuwanderung durch Christen vernachlässigt. Immerhin sind bis zu einem Drittel der Katholiken Wiens mittlerweile anderssprachig. In Städten wie London, Hamburg oder Rotterdam stammt die Mehrheit der Christen nicht aus Europa.

Polak äußert jedoch einen Verdacht, gerade angesichts der Fokussierung auf den Islam: „Die Religiosität der Zuwanderer kann die Religiosität der Einheimischen aktivieren, indem man die Werte des christlichen Abendlandes als Identitätsmarker sieht, oder indem man sich auf Spurensuche begibt, beispielsweise was die christlich geprägten Feste wie Weihnachten eigentlich bedeuten.“

Könnte sein. Ob eine jüngst publizierte Umfrage, die freilich nur im Bundesland Salzburg durchgeführt wurde, daraufhin deutet? Der zufolge hat sich die Zustimmung dazu, das Christkind (wohl im Gegensatz zum Weihnachtsmann) sei besonders wichtig, hat sich laut „Salzburger Nachrichten“ innerhalb eines Jahres von 72 auf 84 Prozent erhöht. Könnte sein.

Kernschmelze. Andere Erhebungen lassen jedoch erkennen, wie sehr der christliche Kern bereits geschmolzen ist. Mehr als zwei Drittel der Österreicher sehen in Weihnachten ein „besonderes Familienfest“. Wie war das gleich noch einmal mit Bethlehem? Christliche Bezüge folgen für die Österreicher weit dahinter. Für Dompfarrer Faber sind Lücken im theologischen Grundwissen selbst bei Kirchgängern „erschreckend“. Ein Beispiel: Weniger als die Hälfte der Österreicher halten es für wichtig, dass Christen an die Auferstehung Jesu glauben.

Möglich, dass da Zugänge zu Spiritualität und Transzendenz verschüttet sind. Oder dass diese nie existiert haben. Dass es bei vielen nichts von dem gibt, was Theologen leichtzüngig Erfahrung Gottes nennen. Dass dieser – der Weg führt zurück auf den Stephansplatz, zur Szene mit der jungen Frau – von vielen eben bisher „noch nie live gesehen“ wurde.

IN ZAHLEN

62 %Katholikenanteil gibt es in Österreich.

39 %Katholikenanteil gibt es aktuell in Wien.

12 %Muslime leben derzeit in Wien.

21 %Muslime werden es 2046 in Wien sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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