Syrien: Das Zentrum der Krise

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Die Auswirkungen des Syrien-Krieges waren 2015 weit über die Region hinaus zu spüren. Zugleich wurden in dem blutigen Konflikt wichtige Weichen gestellt.

Es ist eine grauenhafte Bilanz, die der Krieg in Syrien im Jahr 2015 hinterlassen hat: Mehr als eine Viertelmillion Menschen sind dem Gemetzel mittlerweile zum Opfer gefallen, jeder zweite Syrer musste fliehen – entweder in andere Teile Syriens oder ins Ausland. Der nun schon seit fast fünf Jahren tobende Konflikt hat nicht nur unsägliches Leid über die Zivilbevölkerung gebracht. Er bildet auch das Zentrum einer Reihe anderer krisenhafter Entwicklungen.

Im Syrien-Krieg treten die Bruchlinien zutage, die das internationale und regionale politische Gefüge durchziehen. Er ist Schauplatz des Machtkampfes zwischen den Rivalen Saudiarabien und dem Iran, und auch die Großmächte USA und Russland verfolgen in dem Konflikt unterschiedliche Interessen. Das Schlachtfeld Syrien wurde zu dem giftigen Biotop, in dem gefährliche Extremistengruppen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) erst wuchern konnten. Und solange in dem Land zerstört und gemordet wird, werden weiterhin hunderttausende Menschen versuchen, nach Europa zu gelangen.

Im Sommer 2015 stieg die Zahl der Flüchtlinge, die es bis in die EU schafften, rapide an. Das war ein Grund dafür, dass die internationalen Mächte endlich einen erneuten Versuch zur Lösung des Syrien-Konfliktes starteten. Drehscheibe war Wien: Im Hotel Imperial trafen die Außenminister der USA, Russlands, wichtiger europäischer Staaten und der Regionalmächte Türkei, Saudiarabien und Iran zu Gesprächen zusammen.

Dass Syrien 2015 überhaupt wieder auf die internationale Tagesordnung gesetzt wurde, war bereits eine bedeutsame Weichenstellung. Im Dezember verabschiedete der UN-Sicherheitsrat dann einen Plan, der einen Waffenstillstand zwischen Regime und Rebellen, die Bildung einer Übergangsregierung und Neuwahlen vorsieht. Die syrische Opposition ist jedoch skeptisch, denn das Schicksal des Machthabers Bashar al-Assad bleibt vorerst ungeklärt.

Für Syriens Diktator stellt die Entwicklung von 2015 einen Etappensieg dar. Weil er den Aufstand gegen ihn mit Gewalt niederzuschlagen versuchte, sprachen ihm die USA und die meisten EU-Staaten bereits die Legitimität als syrischer Präsident ab. Doch jetzt ist Assad wieder im Spiel. Assad und seine mit schweren Waffen ausgerüsteten Truppen sind für den Großteil der Todesopfer, der Flüchtlinge und der Verwüstungen in Syrien verantwortlich. Trotzdem gilt er nun auch im Westen wieder als Ansprechpartner – in der Hoffnung, so dieses Blutbad beenden zu können und damit auch die Massenflucht in die EU.

Schon bisher wurde ein Sturz Assads von Washington und den europäischen Hauptstädten bestenfalls halbherzig unterstützt – unter anderem aus Sorge davor, wer nach dem Diktator die Macht in Syrien übernehmen könnte. Der Aufstieg des IS hat diese Ängste nun weiter verstärkt.

Auch eine weitere wichtige Weichenstellung im Jahr 2015 hat die Position Assads gestärkt: Russland greift seit Oktober mit seiner Luftwaffe direkt aufseiten des syrischen Regimes ein. Der Kampf für den gemeinsamen Verbündeten Assad hat zu einer neuen Allianz geführt: Iranische Eliteeinheiten ziehen am Boden mit syrischen Truppen in die Schlacht gegen die Rebellen, Russland unterstützt die Operationen aus der Luft. Den IS traf bisher nur ein Teil der russischen Angriffe.

Doch die Jihadisten mussten 2015 in Nordsyrien schmerzhafte Niederlagen einstecken: Im Jänner wurden sie von der Stadt Kobane zurückgedrängt. Kurdische Volksverteidigungseinheiten vertrieben mit US-Luftunterstützung den IS aus dem Großteil des syrisch-türkischen Grenzgebietes. Damit haben sich Syriens Kurden – zum Ärger der Türkei – als wichtiger Faktor im Kampf gegen die Jihadisten ins Spiel gebracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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