Ein Sommermärchen verliert seinen Zauber

Auf der WM 2006 in Deutschland lasten schwere Vorwürfe, Franz Beckenbauer droht ein tiefer Fall.

Dieser Erfolg ist der absolute Höhepunkt meiner Karriere und noch höher zu bewerten als die WM-Siege 1974 und 1990.“ Cheforganisator Franz Beckenbauer schwelgte im Glück, als Deutschland am 6. Juli 2000 mit 12:11 Stimmen den Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2006 erhielt. Als Sinnbild perfekter Organisation und Gastfreundschaft entwickelte das deutsche Sommermärchen eine Strahlkraft, in ihrem Zentrum Lichtgestalt Beckenbauer. Wie einst als Spieler und Trainer feierte der „Kaiser“ auch diesen Erfolg als Teil eines Teams und überragte doch alle. Ausgerechnet sein größter Titel könnte dem 70-Jährigen nun zum Verhängnis werden. 1200 Seiten lang und 37 kg schwer war das deutsche Bewerbungsdossier, doch die entscheidenden Argumente sollen nicht darin gestanden sein.

Der Zauber des Sommermärchens verpuffte im Oktober: Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ berichtete über mutmaßlichen Stimmenkauf bei der Vergabe sowie schwarze Kassen des deutschen Organisationskomitees. Notdürftige Erklärungsversuche, gegenseitige Vorwürfe und enttarnte Lügen brachten kaum Antworten, dafür viele Fragen und stürzten den Deutschen Fußballbund in seine größte Krise. Die Eckpunkte der Affäre sind eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro des DFB an die Fifa sowie ein Vertrag über geplante Zuwendungen an Jack Warner, damals Präsident des Verbandes für Nord- und Mittelamerikas sowie der Karibik (Concacaf). Der DFB hat inzwischen die Kanzlei Freshfields mit der Aufklärung betraut, der Abschlussbericht soll im Februar vorliegen und öffentlich gemacht werden.


Dubioser Geldtransfer. Die Millionen flossen 2005 über ein Fifa-Konto an den einstigen Adidas-Chef, Robert Louis-Dreyfus, der dem DFB zuvor einen Kredit gestellt hatte. Über die Verwendung gibt es Mutmaßungen, aber keine Beweise: Stimmenkauf bei der WM-Vergabe, Unterstützung für Joseph Blatter im Fifa-Wahlkampf 2002 bis hin zu einer Art Schweigegeld. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, zu jener Zeit OK-Pressechef, erklärte die Zahlung als Provision für einen Zuschuss über 170 Millionen Euro vom Weltverband. Seine angebliche Unkenntnis bis 2015 widerlegte er selbst – gegenüber Freshfields sagte Niersbach aus, bereits 2002 von Beckenbauer informiert worden zu sein, wie die „Bild“-Zeitung aufdeckte. Als „absurd“ bestritt Fifa-Chef Blatter diese Version.

In der DFB-Bilanz wurde die Summe als „Kulturbeitrag“ verbucht und als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt, was die deutsche Finanz hellhörig machte. Nach Razzien in der DFB-Zentrale sowie den Privatheimen läuft gegen Niersbach, Ex-Präsident Theo Zwanziger und den ehemaligen Generalsekretär, Horst Schmidt, ein Verfahren wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung. Dem DFB droht eine Nachzahlung von 25 Millionen Euro. Im November trat Niersbach zurück, betonte jedoch: „Das ist kein Schuldeingeständnis.“


Fähnchen für Jack.Wenig später rückte ein brisantes Schriftstück aus dem DFB-Archiv endgültig Beckenbauer in den Mittelpunkt: eine Vereinbarung zwischen dem OK und Warner, eine der zwielichtigsten Figuren im Weltfußball und einer der Hauptverdächtigen im Fifa-Korruptionsskandal. Datiert wenige Tage vor der Vergabe im Jahr 2000, unterzeichnet von Beckenbauer, paraphiert von seinem Berater Fedor Radmann – laut „Spiegel“ soll auch Medienmogul Leo Kirch seine Finger mit im Spiel gehabt haben. Dem Fifa-Wahlmann aus Trinidad und Tobago wurden darin Tickets, Hilfsleistungen, Freundschaftsspiele und Trainerunterstützungen zugesichert. Für die aktuelle DFB-Spitze ein „Bestechungsversuch“, auch wenn der Deal nie wirksam geworden sein soll. Im Widerspruch dazu stehen allerdings Rechnungen über 17.600 Mark (9000 Euro) für Fähnchen und den Druck von WM-Karten für Spiele des Inselstaates.

Nun erreichte Beckenbauer der öffentliche Gegenwind in seiner vollen Härte und in der „Süddeutschen Zeitung“ brach er schließlich sein Schweigen. Licht ins Dunkel brachte der damalige OK-Chef aber nicht, vielmehr berief er sich auf blindes Vertrauen und Erinnerungslücken. Wofür die 6,7 Millionen Euro waren? „Hat mich nicht interessiert.“ Seine Signatur auf dem Vertrag? „Ich habe immer alles unterschrieben, sogar blanko.“ Die bedenkliche Conclusio: „Wir wollten die WM organisieren, alles andere war mir wurscht.“

Mehr Aufschluss soll der Freshfields-Bericht geben, Beckenbauer, gegen den auch die Fifa-Ethikkommission zu den WM-Vergaben an Russland und Katar ermittelt hat, droht ein tiefer Fall. Auf dem Spielfeld hatte der „Kaiser“ für jede noch so brenzlige Situation eine Lösung parat, in diesem Fall aber sind die Ermittler am Ball.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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