Ildikó Raimondi: "Bei Tenören wird Rosalinde schwach!"

„Jetzt bin ich Rosalinde, in drei Wochen komme ich als Norne wieder.“
„Jetzt bin ich Rosalinde, in drei Wochen komme ich als Norne wieder.“(c) Valerie Voithofer
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Ildikó Raimondi spricht über die Silvester-„Fledermaus“, angeheiterte Ehemänner, bequeme Liebhaber, ängstliche Damen und faule Stubenmädchen. Bei ihren Rollen liebt die Sängerin Kontraste: Auf Johann Strauß folgt Wagner.

Die Presse: „Die Fledermaus“ von Johann Strauß wird jedes Jahr in der Staatsoper rund um Silvester gespielt. Das Publikum liebt das Stück. Vielleicht, weil es realistischer ist, als man glaubt. So viel hat sich nicht geändert in der Gesellschaft seit der Uraufführung 1874 in Wien, oder?

Ildikó Raimondi: Das ist eines der Geheimnisse dieses Stückes, dass wir manche Figuren bei uns wiederfinden: eine etwas gelangweilte Ehefrau, ein Kammermädchen, das sich nach einer Karriere im Theater sehnt. Und: Reiche Leute wie den Orlofsky, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen, gibt es auch heute.

Sie können nicht entspannt Silvester feiern. Stört Sie das?

Es gibt so viele Berufe, in denen man zu Silvester nicht ausgiebig feiern kann. Ich liebe die Partie der Rosalinde. Wir beginnen schon vor Weihnachten zu probieren, das ist im wirklichen Leben eine stressige Zeit, aber die „Fledermaus“-Proben haben ihre eigene Atmosphäre, wir sind gut gelaunt und lachen sehr viel. Es gibt ja in der Opernliteratur nicht viele Stücke, die so wenig Schatten haben. Nur wenige Werke sind positiv, unter ihnen ist „Die Fledermaus“ sicher ein Spitzenreiter in der Publikumsgunst.

In dem Stück geht es um Betrug. Nur ums Flirten oder um Sex?

Alfred ist ein Tenor, der weiß, dass er durch seine Stimme Macht über Rosalinde hat. Er ist ein Spaßvogel und ein bisschen bequem. Doktor Falke, der Rache nimmt, weil er einst im Kostüm der Fledermaus im Fasching der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, baut Alfred in seinen Plan ein. Er bezahlt den Sänger dafür, dass er seine frühere Liebe Rosalinde, die nun mit dem Rentier Eisenstein verheiratet ist, besucht. Die Begegnung ist für Rosalinde etwas desillusionierend, weil Alfred sich vor allem auf ein gutes Essen und Trinken freut. Er kommt keineswegs zur Sache, weil ja der Gefängnisdirektor erscheint, worüber Alfred womöglich ganz froh ist. Es ist alles Teil dieser Maskerade, die Falke veranstaltet, um sich an Eisenstein zu rächen. Leider weiß Rosalinde zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts von der „Rache der Fledermaus“, sonst würde sie vor lauter Aufregung nicht fünfmal das hohe C singen! Insgesamt ist der Beginn des Abends für sie fürchterlich.

Ihre Ehre ist durch Alfreds Erscheinen gefährdet.

Erstens ist sie nicht fertig angekleidet und hübsch gemacht, zweitens singt der ehemalige Lover unter ihrem Fenster, drittens wird sie schwach bei Tenören, und viertens kann ihr Ehemann jeden Augenblick nach Hause kommen. Sie hat viele Sorgen – und dann ist da noch diese freche Adele, das Stubenmädchen, dessen Tante angeblich immer zu gewissen Zeiten krank wird, damit Adele auf ein Fest gehen kann. Adele ist faul, hat hauptsächlich ihr Vergnügen im Kopf und borgt sich auch noch ein Kleid von ihrer Herrin.

Ein beliebtes Element der Opernliteratur ist hier auf die Spitze getrieben, die Leute erkennen einander nicht.

Ja, ich denke, das ist alles nicht so realistisch zu sehen. Andererseits: Rosalinde trägt auf dem Ball, wo sie ihren Mann trifft, eine Maske und eine Perücke – und er ist schon ziemlich angeheitert. Es ist eben eine Operette, es ist viel Spiellust dabei – und wir lieben dieses Stück auch darum.

Einerseits sind die Partien anspruchsvoll, andererseits jagt ein Ohrwurm den anderen.

Frauen- wie Männerpartien sind teilweise eine echte Herausforderung. Das stimmt. Ich freue mich immer, wenn ich meinen Akzent, ich bin ja selbst Ungarin, einmal nicht verbergen muss und meine „ähs“ und „ohs“ machen darf. Als Rosalinde, die als ungarische Gräfin verkleidet ist, brauche ich auch nicht auf die Fälle aufpassen. Der Csárdás „Klänge der Heimat“, den Rosalinde im zweiten Akt singt, hat eine große Spannweite an Tiefe und Höhe – und er ist besonders deshalb auch schwierig, weil knapp vorher das Uhren-Duett mit Eisenstein stattfindet. In der Urfassung der „Fledermaus“ gab es viel, viel längere Dialoge als heute üblich. Jetzt gibt es nur noch einige Sätze zwischen den Nummern.

Sie haben schon viele große Opernpartien gesungen, Mozart, Mimi in der „Bohème“. Es gibt immer diesen Streit, sollen Opernsängerinnen Operetten singen, oder sind ihre Stimmen zu schwer. Was denken Sie?

Ich habe in vielen Operetten gesungen und singe Operette immer gern. Für mich sind Operetten Teil des klassischen Repertoires, sie stehen der Oper in nichts nach. Im Gegenteil, um Operette gut zu singen, braucht man alles, was man zum Opernsingen auch braucht, und dazu noch brillante Dialogführung, Charme, Leichtigkeit und facettenreiches Spiel.

Mögen Sie die alte Otto-Schenk-Inszenierung?

Auf jeden Fall. Herr Schenk hat seine Inszenierung von 1979 voriges Jahr aufgefrischt. Er hat eine unglaubliche Liebe fürs Detail, für kleine Gesten und Blicke, die so wichtig sind für das große Ganze. Er gibt uns bei seiner Arbeit ein kleines Samenkorn, einen kleinen Hinweis – und hofft, dass daraus eine schöne Pflanze wird.

Lebt man in der kalten Jahreszeit als Sängerin mit der ständigen Angst vor Verkühlungen?

Ja, wir „Opernsänger“ haben es nicht leicht. Eine kleine Heiserkeit ist schon eine Katastrophe. Schauspieler sind etwas besser dran als wir. Sie können mehr selbst bestimmen, den Sprachrhythmus, die Höhe, sie können langsamer oder schneller sprechen und Pausen einlegen. In der Oper ist alles genau notiert – Tonhöhe, Tempo, Dynamik. Alles sollte im richtigen Augenblick perfekt und hundertprozentig auf dem Punkt sein. Das geht nur, wenn die Stimme klar und gesund ist. Natürlich passe ich auf, aber ich versuche dennoch, ein halbwegs normales Leben zu führen. Sänger sind auch Menschen, wenn es einen erwischt, dann ist man halt heiser oder krank.

Was kommt als Nächstes für Sie?

Drei Wochen, nachdem ich als hübsche Rosalinde flatternd auf der Bühne der Wiener Staatsoper herumzische, komme ich dort als dritte Norne in Wagners „Götterdämmerung“ wieder, mit grauen Haaren und zerreiße den Schicksalsfaden. Vor ein paar Wochen war ich eine Magd in der „Elektra“ von Richard Strauss, die ausgepeitscht wurde. Man darf sich immer wieder total verwandeln. Ich liebe diese starken Kontraste.

ZUR PERSON

Ildikó Raimondi. Die 1962 in Arad (Nord-Banat) geborene Sopranistin ist seit 1991 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper. Seit 1998 singt sie Rosalinde in der „Fledermaus“ (heuer am 31. 12., 3. 1.). Weitere Partien: Pamina („Zauberflöte“), Donna Elvira („Giovanni“) oder Hanna Glawari („Lustige Witwe“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2015)

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