Grinzing braucht keine Türsteher mehr

Mit dem Trummelhof verschwindet eine der ältesten Bars der Stadt. Figl und Raab feierten dort den Staatsvertrag, in den Neunzigerjahren war sie beliebte Vorstadtdisco der Döblinger Jeunesse dorée, die sich bis heute stets vor Weihnachten hier traf.

Wien. Mit dem U4 oder dem Flex konnte der Trummelhof nie mithalten. Wollte er aber auch nicht. Es war nie richtig cool, in die Bar am äußersten Rand von Grinzing zu gehen. Das lag vielleicht am etwas albernen Namen und mit Sicherheit am niedrigen Altersschnitt seiner Besucher. Wer zu spät, also zum Beispiel erst mit Anfang 20, das erste Mal den Trummelhof besuchte, verstand die Zuneigung seiner Stammgäste bisweilen nicht. Viel zu gedrängt war es in der schlauchigen Vorstadtdisco, viel zu schnöselig war die Klientel, viel zu penetrant die Aftershave-Wolken, die sich im Lauf der Nacht mit Zigaretten- und Schweißdunst mischten.

Den Trummelhof musste man sich erarbeiten. Als später Teenager war es Aufregung genug, gefühlte Stunden vor dem Eingang des einstöckigen, denkmalgeschützten Gebäudes Schlange zu stehen und darauf zu hoffen, dass der Türsteher diesmal nicht nach dem Schülerausweis fragen würde. Offiziell kam nur hinein, wer schon 16 war, und die Männer in ihren bauchigen, schwarzen Jacken am torbogenartigen Eingang waren streng.

Drinnen war es zwar disco-authentisch laut, dunkel und eng, der DJ spielte aber keinen undergroundigen Hip-Hop, auch keinen House oder Drum'n'Bass, sondern die tanzbarsten Lieder aus der Hitparade. Der abgedeckte Brunnen in der Mitte des vierten und letzten, quadratischen Raumes war viel zu enge Tanzfläche und Laufsteg in einem, auf der Galerie standen nur jene, die lieber unbeobachtet tanzen oder schmusen wollten. Dennoch war der Trummelhof für mehrere Generationen von Jugendlichen aus den Wiener Westbezirken 9, 17, 18 und 19 so etwas wie das Trockentraining für das Nachtleben. Hier kannte man fast jedes Gesicht aus der eigenen oder der Nachbar-Schule, später vorwiegend aus dem WU-, Jus- oder Medizinstudium. Was für die Hietzinger Jugend das Reigen, war für die Döblinger Jeunesse dorée der Trummelhof. Die Ausgehkluft einheitlich: Timberland-Schuhe, Ralph-Lauren-Hemd (mit aufgestelltem Kragen), Minikleid, zweifärbige Chapelier-Tasche.

Freilich gab es auch hier hie und da Schlägereien und alkoholbedingte Ausfälle, manchmal kam unangekündigt die Polizei, um die Besucherzahl zu überprüfen. Doch insgesamt fühlte sich eine Nacht im Trummelhof eher an wie die Extended Version der Schuldisco.

Zu Weihnachten kamen alle

Was vermutlich selbst die wenigsten Stammgäste wissen: Der Trummelhof ist eine der ältesten Bars der Stadt. Erbaut wurde sie an der Stelle eines römischen Wachturms, ihre erste Hochblüte erlebte sie in den 1950er-Jahren. Bundeskanzler Julius Raab und Außenminister Leopold Figl sollen hier 1955 die Unterzeichnung des Staatsvertrages gefeiert haben, erzählt Heurigenwirt Sepp Martin.

Er übernahm 1987 das Lokal und führte es bis 2012 neben seinem direkt angrenzenden Heurigen in der Cobenzlgasse. Unter seiner Pacht erlebte der Trummelhof eine weitere Glanzzeit zwischen 1995 und 2005. Eine Gruppe von Stammgästen versuchte in den späten Nuller-Jahren, das Lokal mit Partys unter dem Motto „Every Face a Memory“ wiederzubeleben, doch zuletzt blieb der Trummelhof, wenn er nicht für private Feiern genutzt wurde, vor allem unter der Woche leer. Was auch am wachsenden Lokalangebot lag, an den vielen neuen Bars, die in den Gürtelbögen entstanden.

Sepp Martin war es auch, der die Tradition der Christmas-Partys am Vorabend des Heiligen Abends einführte. Jedes Jahr am 23. Dezember pilgerten dann also nicht nur die aktuellen Trummelhof-Geher, sondern auch die Stammgäste aus früheren Jahren in ihre Jugenddisco zurück und sangen um Mitternacht mit Sternspritzern in der Hand „Last Christmas“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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