Pop

„Mein Vater schlug mich halb tot“

(c) AP (M. Spencer Green)
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Michael Jacksons Leben. Misshandlung, Operationen, Prozesse – und Triumphe.

Über eine Stunde lang versuchten sein Leibarzt und die Ärzte im „Ronald Reagan UCLA Medical Center“, den mit Herzstillstand eingelieferten Michael Jackson wiederzubeleben. Vergeblich: Am Donnerstag, den 25.Juni, um 14.26 Uhr, ist „der legendäre King of Pop gestorben“, wie sein älterer Bruder Jermaine zu Protokoll gab: „Es wird angenommen, dass er in seiner Wohnung einen Herzstillstand erlitt. Die Todesursache ist jedoch nicht bekannt, bis die Ergebnisse der Obduktion vorliegen.“ „Unsere Familie hat die Medien gebeten, in dieser schweren Zeit unsere Privatsphäre zu respektieren“, schreibt Jermaine Jackson, selbst bis in die Neunzigerjahre als Sänger aktiv, weiter: „Und wir werden immer bei dir sein, Michael. Wir lieben dich.“

Zumindest in seiner Todesstunde waren sie um ihn, seine Geschwister und auch seine Mutter Katherine und sein Vater Joseph. Der sich, als Michael noch ein Kind war, ganz und gar nicht als liebevoll erwiesen hatte: „Ich bekam mehr Schläge als alle meine Brüder zusammen“, schrieb er in seiner Autobiografie „Moonwalker“: „Mein Vater schlug mich halb tot, zerriss mich in der Luft.“

Der Stahlarbeiter Joseph Jackson war nicht nur brutal zu seinen zehn Kindern – Michaels Schwester La Toya warf ihm sogar sexuellen Missbrauch vor –, er setzte diese Brutalität auch gezielt ein, um sie zur Kinderarbeit zu zwingen: 1965 gründete er die „Jackson Five“, die aus den Brüdern Jackie, Tito, Jermaine, Marlon und Michael Jackson bestanden. Von Spielen konnte er nur träumen, berichtete Michael Jackson später, der Vater trieb ihn und seine Brüder oft mit Gewalt auf die Bühnen.

Als er sich 1979, inzwischen erfolgreicher Solokünstler, vom Regiment seines Vaters verabschieden konnte, war das eine große Erleichterung für ihn: „Den eigenen Vater zu feuern ist nicht leicht“, schrieb er mit kaum verhohlenem Triumph. Es begann ein unvergleichlicher Aufstieg, mit den Alben „Thriller“, „Bad“ und „Dangerous“ erzielte er Rekorde. 1992 gründete er die Stiftung „Heal The World“ für Not leidende Kinder.

Inzwischen fiel auf, wie sich allmählich sein Aussehen änderte. Das war im Februar 1993 auch Thema eines aufsehenerregenden TV-Interviews mit Oprah Winfrey, in dem er zwar Gesichtsoperationen zugab, aber leugnete, seine Haut bleichen zu lassen: Er habe eine Hautkrankheit, die die Pigmentbildung verhindert, sagte er, berichtete aus seiner schrecklichen Kindheit und erzählte über sein Engagement für Kinder: „Alle drei Wochen besuchen mich auf meiner Ranch unheilbar kranke Kinder. Ich zeige ihnen Trickfilme.“

Hochzeit mit Lisa Marie Presley

Ein halbes Jahre später, im August 1993, ermittelte erstmals die Polizei wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs, Jacksons Ranch „Neverland“ wurde durchsucht: Gefunden wurden zahllose Kinderfotos und -videos, aber nichts Belastendes. Jackson setzte seine Tournee fort, seine mütterliche Freundin Liz Taylor sprach ihm Mut zu. Doch im November musste die Tour abgebrochen werden, auch weil Jackson von Schmerzmitteln abhängig geworden war.

Seinen Anspruch auf den Titel „King of Pop“ bekräftigte Jackson im Mai 1994 mit einer überraschenden Volte: Er heiratete Lisa Marie Presley, die Tochter des letzten „King“, aufgewachsen in Graceland, in der Dominikanischen Republik. Die Verbindung wurde kaum eineinhalb Jahre später kinderlos geschieden. Jacksons zweite Ehe – mit der Krankenschwester Debbie Row – dauerte etwas länger, aus ihr stammen zwei Kinder: Den Sohn nannte er (nach sich und seinem Vater) Michael Joseph oder „Prince Michael“, die Tochter (nach sich und seiner Mutter) Paris Michael Katherine. Das Sorgerecht für beide erhielt nach einer außergerichtlichen Einigung er. Ein drittes Kind – von einer unbekannten Mutter – nennt er „Prince Michael II“, sein Bild kam 2002 in die Zeitungen, als der Vater es in großer Geste über den Balkon eines Hotelzimmers den Fans vorführte. Sich selbst zeigte er meist mit Maske: Angst vor Bakterien.

Den ersten drohenden Missbrauchsprozess hatte Michael Jackson durch Zahlungen von über 20 Millionen Dollar an das angebliche Opfer abwenden können. 2003 erwirkte der Staatsanwalt Tom Sneddon wegen erneuten Verdachts eine Festnahme Jacksons, ihm hatte Jackson schon 1995 den Song „D.S.“ gewidmet, in dem er ihm vorhält, ein „cold man“ zu sein. Jackson ging auf Kaution frei, erschien im Pyjama zur Verhandlung, wirkte verwirrt, wurde schließlich freigesprochen.

Seine Karriere war dennoch parterre. Zu den Nöten in und mit seiner Haut, zu den Meuchelfotos und (kolportierten) Krankheiten kamen Schulden. Eine gigantische Konzertserie sollte ihn und sein Image retten. Es ging nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2009)

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