Wie aus Bakterien Schnee wird

AUT Wintersport im Gruenen Zillertal 21 12 2015 Zillertal Zell am Ziller AUT Wintersport im G
AUT Wintersport im Gruenen Zillertal 21 12 2015 Zillertal Zell am Ziller AUT Wintersport im Gimago/nph
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Die heurige Wintersaison wurde nur durch Kunstschnee gerettet. Zu seiner Herstellung braucht man Minusgrade – aber an diesem Problem arbeitet man.

Serafin Siegele ist ein mächtiger Mann. Wenn er will, dann schneit es in Ischgl. Es genügt ein Knopfdruck zu Hause an seinem Laptop, und aus 950 Lanzen und 150 Kanonen rieselt – nicht unbedingt leise – der Schnee.

Siegele ist Pistenchef in Ischgl, einem der größten Skigebiete Österreichs. 238 Kilometer Piste (bzw. 172 Kilometer bei reiner Schussfahrt), 45 Lifte, die zu den modernsten der Welt gehören, an Spitzentagen sind um die 21.000 Menschen mit Skiern und Snowboards unterwegs, und in den etwas mehr als fünf Wintersaisonsmonaten setzt die Silvretta Seilbahn AG mehr als 70 Millionen Euro um (eine Dividende wurde übrigens noch nie ausbezahlt, der Gewinn wird investiert, die Eigenkapitalquote der AG liegt bei weit über 90 Prozent).

Dass die Zahlen so sind, wie sie sind, und die 1500-Einwohner-Gemeinde sehr gut vom Wintertourismus leben kann, hat man nicht allein der Lage und der Natur zu verdanken, sondern auch dem künstlichen Schnee. „Die Skifahrer sind mittlerweile sehr anspruchsvoll geworden“, erklärt Siegele. „Apere Stellen auf der Piste werden nicht akzeptiert, und das garantieren wir nur mit technischem Schnee.“

Die Beschneiung in Ischgl ist keine kleine Sache und auch keine billige. Etwa zehn Millionen Euro gibt das Skigebiet jede Saison aus, um der Natur nachzuhelfen und auch dort Schnee hinzubringen, wo zu wenig ist, oder es schneien zu lassen, damit das Skigebiet wie geplant Ende November eröffnet und bis 1. Mai betrieben werden kann.

Die 22 Pistenraupen (neun weitere sind in Samnaun im Einsatz) sind mit GPS ausgestattet. Weil alle Abfahrten im Sommer detailliert vermessen wurden, sieht der Fahrer auf einem Bildschirm den Höhenunterschied im Winter – und damit die Schneehöhe. Am Ende des Abends hat Siegele auf seinem PC eine recht präzise Übersicht über alle Pisten: Gebiete, die rot unterlegt sind, haben zu wenig Schnee. Dort muss beschneit und nachgebessert werden. „Auf geraden Strecken im Flachen kann man auf 15 Zentimetern Schnee perfekt fahren, bei Steilhängen benötigt man 30 bis 40 Zentimeter.“ Und diese Höhe erreicht er mit den 39 Mann, die ihm als Fahrer und Beschneier zur Verfügung stehen, immer.

Selbst heuer, denn Ischgl hat einen großen Vorteil: Es liegt sehr hoch. „Oben auf den Bergen ist es eigentlich immer kalt genug zum Beschneien, und den Schnee kann man gut verteilen“, sagt Serafin Siegele. Ideale Bedingungen sind Außentemperaturen von weniger als vier Grad Celsius, eine möglichst geringe Luftfeuchtigkeit und eine Wassertemperatur von maximal zwei Grad.

Viele Skigebiete in Österreich hatten diese Bedingungen heuer nicht. Zwar hat jedes Gebiet mittlerweile Kanonen und Lanzen, um Kunstschnee erzeugen zu können. Doch oft spielt die Natur nicht mit, denn eines braucht man auch bei den raffiniertesten Geräten: Minusgrade. Zumindest in Österreich, wo mancher etwas neidvoll in die Schweiz blickt oder in die USA. Dort kann man auch bei Plusgraden Schnee erzeugen – dank des Bakteriums Pseudomonas syringae.


Rekordumsatz dank Schneemangel. „Wir setzen das nur punktuell ein“, erklärt man in Zermatt. In anderen Skigebieten, etwa in Davos oder Crans-Montana, will man gar nichts dazu sagen. Die jährliche Diskussion über Sinn und Unsinn von Kunstschnee, den Liftbetreiber lieber als „technischen Schnee“ bezeichnen – „er ist nicht künstlich, er besteht genauso wie richtiger Schnee nur aus Wasser“ –, ist schon unerfreulich genug. Da will man nicht auch noch eine Debatte über Bakterien im Schnee haben.

Die Methode, die aus den USA kommt und unter dem Namen Snowmax bekannt ist, ist einzigartig. Zum Einsatz kommen die abgetöteten Pseudomonas-syringae-Bakterien. Ihr Eiweiß lässt Wasser auch bei plus fünf Grad Celsius zu schneeähnlichem Pulver werden, bei minus drei Grad entsteht bereits pulvriger, weicher Schnee. In den USA werden ganze Skigebiete mit der Snowmax-Technik beschneit, in der Schweiz ist dies in manchen Kantonen möglich.

In Österreich ist Snowmax verboten, ebenso in Deutschland. Zum Beschneien darf nur reines Wasser verwendet werden, aber keine chemischen oder bakteriellen Zusätze. Beim Alpenverein befürchtet man freilich, dass es früher oder später eine Diskussion über den Einsatz des Schneebakteriums auch bei uns geben wird – vor allem, wenn die Temperaturen im Winter so hoch bleiben.

Der weltweit größte Hersteller von Beschneiungsanlagen, das Südtiroler Unternehmen TechnoAlpin, glaubt das nicht. „Es gibt jetzt schon so ausgereifte Geräte auf dem Markt, dass man auch bei leichten Plusgraden noch beschneien kann“, meint Martin Eppacher, Geschäftsführer der österreichischen Niederlassung in Innsbruck. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 30 Prozent könne man beispielsweise bei drei Grad Umgebungstemperatur beschneien. Hilfreich sind in diesen Fällen freilich Kühltürme, die das Wasser auf ein, zwei Grad temperieren.

Die schneearmen Winter sind für TechnoAlpin recht ertragreich. Die Umsätze stiegen in den vergangenen Jahren um zehn Prozent pro Jahr und mehr. 2014 hält man bei 145 Millionen Euro. Aushängeschild ist die Propellermaschine TF10, die mobil ist und den Schnee über große Weiten verteilen kann. Kostenpunkt: 35.000 bis 40.000 Euro pro Stück.

Natürlich hat man auch eine Snowfactory im Programm: eine mobile Containeranlage, die völlig unabhängig von den Außentemperaturen Schnee erzeugen kann. An einem Tag bis zu 220 Kubikmeter. Eingesetzt wird die Schneefabrik vor allem für Events in Städten, notfalls genügen die Kapazitäten aber auch für kleinere Pisten.

Und wenn es gar nicht mehr geht, wendet man sich an die schneesicheren Skigebiete: In Tirol verkaufen sie den Kubikmeter Schnee schon ab fünf Euro. Nur heuer bekommt man keinen: „Den brauchen wir selbst.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

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