US-Wahl 2016: Schlagabtausch zwischen Clinton und Sanders

Schlagabtausch Clinton-Sanders
Schlagabtausch Clinton-SandersAPA/AFP (TIMOTHY A. CLARY)
  • Drucken

Der sozialistische Senator wirft der Ex-Außenministerin die Nähe zur Finanzwelt vor. Clinton hält ihm im Gegenzug vor, das politische Erbe von Präsident Obama zu gefährden.

Abgeklärter Pragmatismus oder zorniges Revoluzzertum? Vor dieser Richtungsentscheidung stehen die Anhänger der demokratischen Partei in der Frage, wer für sie in die Präsidentschaftswahl ziehen soll. Diese Spaltung war in der Nacht auf Montag bei der vierten Fernsehdebatte der drei verbliebenen Anwärter auf die Nominierung so klar zu sehen wie bisher noch nicht.

Hillary Clinton, die frühere First Lady und einstige Senatorin sowie Außenministerin, unterstrich bei der von NBC News übertragenen Konfrontation in Charleston, South Carolina ihre Erfahrung und die Wirksamkeit der beharrlichen Politik kleiner, aber zielstrebiger Schritte. Ihr Kontrahent, der sozialistische Senator Bernie Sanders aus Vermont, forderte hingegen eine "politische Revolution", die in erster Linie die Wahlkampffinanzierung von Grund auf erneuern sollte. Dann, so sagte er, würden sich viele politische Probleme leichter lösen lassen als derzeit.

Sanders will "Berniecare" auf europäische Art

In einer der aussagekräftigsten Auseinandersetzungen mit Sanders drehte sie dessen Forderung nach einer allgemeinen staatlichen Krankenversichung europäischen Zuschnitts in eine Gefährdung des Affordable Care Act (vulgo "Obamacare"), also der im Jahr 2010 eingeführten Versicherungspflicht, um. "Der Affordable Care Act ist eine der größten Errungenschaften der Obama-Präsidentschaft und unserer Partei", sagte Clinton. "Es gibt Dinge, die wir verbessern können. Aber ihn zu zerreißen und neu anzufangen, ist meiner Ansicht nach der falsche Weg. Ich will nicht zuschauen, wie die Republikaner ihn abschaffen, und ich will nicht von Neuem mit einer hitzigen Debatte beginnen."

Sanders hielt dem entgegen, er wolle Obamacare nicht abschaffen, sondern zu einer allgemeinen Pflichtversicherung ausbauen: "Wir sind das reichste Land der Welt. Wir sollten ein Gesundheitssystem für alle haben." Pläne dafür hat er bereits mehrfach angekündigt, bisher waren sie aber sehr vage geblieben. Am Sonntag veröffentlichte er sein "Berniecare" betiteltes Modell, von dem er sich jährliche Einsparungen von rund einem Fünftel der derzeitigen Gesundheitsausgaben erhofft; über die nächsten zehn Jahre wären das rund sechs Billionen Dollar.

Allerdings kritisierten schnell selbst linksliberale Kommentatoren, dass Berniecare keine Angaben darüber macht, ob wie fast überall in Europa die Arzttarife und Arzneimittelkosten von der Regierung reglementiert werden. In den USA machen sich die Spitalsbetreiber und Versicherungskonzerne auch unter Obamacare weiterhin ziemlich frei die Tarife für ärztliche Leistungen und Preise von Pharmazeutika aus. Das ist der Hauptgrund dafür, dass die USA die mit Abstand höchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf unter allen OECD-Nationen aufweisen, deswegen aber nicht besser gegen Krankheiten gefeit sind.

Clintons Beraterstab dürfte die Schwachstelle von Berniecare entdeckt haben; darauf deutet der Umstand hin, dass sie gleich in ihrem ersten Redebeitrag die gesetzliche Deckelung der Arzneimittelpreise zu einer der drei Prioritäten für ihre ersten 100 Tage im Weißen Haus erklärte.

Sanders' Achillesferse: das Waffenrecht

Für Clinton geht es zwei Wochen vor der ersten Vorwahl in Iowa darum, einen Absturz wie bei ihrem ersten Anlauf auf die Präsidentschaft vor acht Jahren zu verhindern. Damals lag sie lange Zeit in den Umfragen klar vor Barack Obama, um ihm letztlich doch zu unterliegen.

In Iowa sind Clinton und Sanders der jüngsten Umfrage der Zeitung "Des Moines Register" zufolge praktisch Kopf and Kopf; Clinton hat 42, Sanders 40 Prozent Zuspruch (Martin O'Malley, der frühere Gouverneur von Maryland und Ex-Bürgermeister von Baltimore, liegt mit sieben Prozent weit hinter den beiden und ist praktisch chancenlos; er konnte auch in dieser Debatte das Ruder nicht an sich reißen). 

Um die ersten vier Vorwahlen in Iowa, New Hampshire, South Carolina und Nevada zu gewinnen und somit schnell Klarheit zu schaffen, muss Clinton den linken Flügel der Partei zumindest teilweise an sich ziehen. Sie versucht deshalb nicht erst seit gestern, Sanders' Abstimmungsverhalten in Senat in Fragen des Waffenrechts als Zeichen seiner vermeintlichen Inkonsequenz darzustellen. "Senator Sanders hat mehrfach gemäß den Vorgaben der NRA abgestimmt", sagte sie und versucht damit, ihn in die Nähe der bei den Demokraten verhassten Waffenlobby National Rifle Association (NRA) zu rücken. "Er hat dafür gestimmt, dass Waffen in Züge, in Nationalparks mitgenommen werden können. Vergessen wir nicht, worum es geht: 90 Menschen sterben jeden Tag durch Waffen."

Damit traf sie in der Tat Sanders' Achillesferse: Vermont ist ein mehrheitlich ländlicher Teilstaat der USA mit vielen Jägern und Sportschützen. Deshalb hat der sich selbst als Sozialist bezeichnende Senator mehrfach strengeren Waffengesetzen nicht zugestimmt. Auch O'Malley stieß in diese Bresche und brachte seine erinnerungswürdigste Wortmeldung zu Protokoll: "Ich habe noch keinen Jäger mit Selbstachtung getroffen, der ein AR-15 braucht, um einen Hirsch zu erlegen." AR-15 ist die Typenbezeichnung eines jener halbautomatischen Sturmgewehre, deren Verbot Sanders in der Vergangenheit nicht zugestimmt hat. Nun allerdings sagte Sanders: "Wir sollten keine Sturmgewehre verkaufen."

"Systemischer Rassismus im Justizsystem"

Einen ihrer stärksten Momente hatte Clinton beim Thema der Missstände im Justizwesen, allen voran der hohen Zahl schwarzer Männer im Strafvollzug. Rund jeder dritte Afroamerikaner läuft derzeit statistisch betrachtet Gefahr, irgendwann im Laufe seines Lebens hinter Gitter zu kommen. Clinton klagte den "systematischen Rassismus in unserem Justizsystem" an und stellte die rhetorische Frage: "Was würden wir tun, wenn jeder dritte weiße Mann irgendwann im Gefängnis landen würde?"

In weiterer Folge ging es um die Kontrolle über die Finanzwirtschaft, allen voran die Banken und Fonds an der Wall Street. Sanders hielt Clinton mehrfach vor, sich für Vorträge von Banken wie Goldman Sachs fürstlich bezahlen zu lassen und ihre Kampagne mit Spenden der Finanzwirtschaft zu bestreiten. Ihre Unabhängigkeit gegenüber der Wall Street sei folglich mehr als fraglich.

Doch auch hier drehte Clinton den Spieß gewandt um und unterstellte Sanders, mit dieser Kritik an der Wahlkampffinanzierung in den USA indirekt Präsident Obama anzugreifen: "Er hat Präsident Obama dafür kritisiert, dass er Spenden von der Wall Street annimmt. Er hat ihn schwach und enttäuschend genannt. Ich persönlich hingegen glaube, dass die Arbeit von Präsident Obama, die zum Dodd-Frank Act geführt hat, die wichtigste regulatorische Reform seit den 1930er-Jahren war." Der Dodd-Frank Act ist jenes enorme Gesetzespaket, mit dem die Obama-Regierung im Jahr 2010 auf die Auswüchse im Vorfeld der Großen Rezession reagiert hat. "Ich verteidige Präsident Obama dafür, sich mit der Wall Street anzulegen." Und sie erinnerte ihr Publikum daran, wer der wahre Gegner der Demokraten ist: "Wir haben wenigstens eine lebhafte Debatte darüber, wie sich die Wall Street einzäumen lässt. Die Republikaner reden nicht einmal darüber."

Clintons "interessantes" Verhältnis zu Putin

Die Außenpolitik spielte in dieser Debatte nur eine Nebenrolle. Bemerkenswert war am ehesten Clintons Antwort auf die Frage, wie sie ihr Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnen würde. "Meine Beziehung zu ihm ist ... interessant, respektvoll", feixte die frühere Außenministerin, die sich zu Beginn von Obamas erster Amtszeit um einen Neubeginn der amerikanisch-russischen Beziehungen bemüht hatte. "Als er 2011 wiedergewählt wurde, hat er Demonstrationen niedergeschlagen und mich bezichtigt, sie angezettelt zu haben."

Auf die Frage, ob sie sich von Bill, ihrem Mann und früheren Präsidenten, in politischen Fragen beraten lassen würde, sagte sie: "Wir würden am Küchentisch beginnen und schauen, wohin das führt."

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.