Amnesty: Flucht nach Europa für Frauen sexueller Spießrutenlauf

(c) APA/AFP/ARMEND NIMANI
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Weibliche Flüchtlinge werden auf ihrer Reise sexuell belästigt und ausgebeutet - auch in Österreich.

London/Wien. Ein Schmuggler in der Türkei bot Hala, 23, aus Aleppo einen Deal an: Sie werde nichts oder weniger für ihre Flucht bezahlen, wenn sie mit ihm Sex habe. Reem, 20 und ebenfalls aus Syrien, traute sich auf ihrem Weg nach Europa nur im Bus zu schlafen, nicht in den Flüchtlingsunterkünften – aus Angst, begrapscht oder gar vergewaltigt zu werden. Eine 22-jährige Irakerin schildert eine Begegnung mit einem Wachmann in einer Unterkunft in Deutschland: Er sagte, sie bekomme Kleidung, wenn sie dafür bereit sei, „Zeit mit ihm allein zu verbringen“.

Die drei Frauen gehören zu einer Gruppe von 40 weiblichen Flüchtlingen aus dem Irak und Syrien, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) in Norwegen befragt hat, und das Ergebnis zeigt ein erschreckendes Bild: Gewalt, Ausbeutung, sexuelle Belästigung gehören für viele Frauen zu den bitteren Erfahrungen ihrer Flucht – vonseiten männlicher Flüchtlinge, der Schlepper und Sicherheitsbeamten. Und dies, betont die Organisation, gelte „für jede Station ihrer Reise“ – auch in Europa.

Alle Befragten hätten sich auf der Flucht von der Türkei über Griechenland und den Balkan bedroht gefühlt, schreibt Amnesty – vor allem in Transitunterkünften in Ungarn, Kroatien und Griechenland, wo sie neben Hunderten Männern schlafen mussten. Teilweise waren sie gezwungen, sich Duschen und Toiletten mit männlichen Flüchtlingen zu teilen. „Einige ergriffen extreme Maßnahmen wie nicht zu essen oder zu trinken, um zu vermeiden, auf die Toilette zu müssen.“

Übergriffe in Traiskirchen

Österreich wird in dem Bericht nicht explizit erwähnt. Doch Betroffene schilderten der „Presse“ ähnliche Erlebnisse: Nour, zum Beispiel, flüchtete vor einem Jahr aus Syrien nach Österreich und hat mittlerweile einen Aufenthaltsstatus. Drei Monate verbrachte die 28-Jährige in Traiskirchen, bevor sie in ein Quartier nach Oberösterreich wechselte. Nour floh mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Bruder und wurde in Traiskirchen im Familientrakt untergebracht. Sexuelle Übergriffe im Lager seien an der Tagesordnung gewesen, erzählt sie. „Vor allem die alleinreisenden Frauen wurden oft nicht nur angesprochen, sondern auch von anderen Männern dort angegriffen. Darum organisierten sich die Frauen in Gruppen, passten aufeinander auf.“

Zahra, 31, aus dem Irak, flüchtete im Herbst 2015 allein. „Du musst auf der Flucht immer auf der Hut sein, immer auf dich aufpassen.“ Mehrmals sei sie von Männern, die mit ihr unterwegs waren, belästigt worden, anzügliche Sprüche seien an der Tagesordnung gewesen. Am schlimmsten sei es in einem Lager in Ungarn gewesen. „Die Wachmänner sagten, sie müssen mich durchsuchen und deuteten mir, dass ich mich nackt ausziehen soll. Sie haben mich überall angegriffen und gelacht – ich hatte solche Angst, habe mich aber bemüht, ruhig und gleichgültig zu bleiben. Gott sei Dank haben sie mich nicht vergewaltigt.“

Alleinreisende Frauen seien am verwundbarsten, sagt Claire Healy vom International Centre for Migration Policy Development in Wien. Sie ist Autorin einer Studie über die Ausbeutung von Flüchtlingen in Syrien, der Türkei, im Libanon, in Jordanien und im Irak. Der Leidensweg der Frauen beginnt schon häufig am Anfang ihrer Flucht. So berichteten Betroffene, dass bei Sicherheitskontrollen oder an Grenzübergängen die Erlaubnis zur Weiterfahrt manchmal an sexuelle Gegenleistungen gekoppelt wurde. Schleuser nutzten die Notsituation der Frauen aus, wenn sie nicht über genug Geld verfügten – oder erhöhten die Preise während der Reise. Auch gebe es Beispiele für sogenannten „survival sex“ im Austausch für Geld, Miete oder Essen. Selbst Familien seien manchmal gezwungen, Töchter als sogenannte „Ehefrauen auf Zeit“ älteren Männern für einige Tage oder Wochen zu überlassen, um die eigene Existenz zu sichern. Finanzielle und sexuelle Ausbeutung der Flüchtlinge gehen dabei Hand in Hand: Wenn die eigenen Ressourcen aufgebraucht sind, muss mit anderen „Leistungen“ bezahlt werden.

Amnesty International fordert von Regierungen und Hilfsorganisationen nun besseren Schutz weiblicher Flüchtlinge. Mit Blick auf Österreich sagt AI-Österreich-Chef Heinz Patzelt, schon mit organisatorischen Maßnahmen ließen sich Verbesserungen erreichen. Beispiel: „In großen Massenquartieren wäre es wichtig, die WC-Anlagen zu trennen – damit sie (für die Frauen) nicht mehr kollektive Angsträume sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2016)

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