Der Premierenfluch ist von Rigoletto gewichen

Rigoletto
Rigoletto(c) Staatsoper
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Neu besetzt, erlebte Verdis Stück mit Carlos Álvarez an derStaatsoper eine umjubelte Sternstunde.

Der Schock der Premiere dieser Produktion sitzt den Wiener Opernfreunden noch in den Knochen. Nach gutem Beginn befiel den Titelhelden im zweiten Akt damals eine schwere Indisposition; er wankte von der Szene. Der Abend kam mit einem Einspringer zwar zu einem Ende, doch man fühlte sich daran erinnert, dass das Stück ursprünglich „La Maledizione“ heißen, also nicht nach dem von Victor Hugo entlehnten königlichen Hofnarren benannt werden sollte.

Nun scheint, um ein ganz anderes Stück zu zitieren, „der Fluch gewichen“. Tosender Jubel nach der 15. Aufführung der neuen Produktion. In völlig neuer Besetzung erweist die Inszenierung Pierre Audis ihre Tauglichkeit; sozusagen von verwüsteten Seelen in einem wüsten Land wird die finstere Geschichte mit all ihren Schrecken und menschlichen Gemeinheiten – in ebenso finsteren Räumen – erzählt.


Im wüsten Land. Und sie wird packend erzählt, wenn die Besetzung bis in die kleinsten Rollen so stimmt wie diesmal. Nebst einem unschlagbaren Führungstrio – Carlos Álvarez, Olga Peretyatko und Juan Diego Flórez – ergänzen die sonore Maddalena Nadia Krastevas und der luxuriös orgelnde Sparafucile Ain Angers das „All Star Cast“. Auch Sorin Colibans Graf Monterone kann sich in seinem Zorn hören lassen: Er wird in dieser Inszenierung auf offener Szene gemeuchelt, und zwar just in jenem Moment, da am Premierenabend der Titelheld aus dem Bild gewankt ist . . .

Anlässlich der völlig neu besetzten Reprise durfte man nun ganz ungestört studieren, dass Verdi in diesem Werk die Regeln des Belcanto noch lang nicht über Bord geworfen hat. Gewiss, viele dramatische Ausbrüche dringen, avantgardistisch für die Ohren der Zeitgenossen, weit vor in die Gefilde des hochromantischen Musikdramas.

Der schlankstimmige Herzog des Juan Diego Flórez mag denn aufs Erste ungewohnt „leicht“ klingen. Doch ist er – anders als viele „typische“ Besetzungen dieser Partie – imstande, alle geforderten Verzierungen elegant zu gestalten und die Partie so mit höchster Vokalartistik zu reichem Bühnenleben zu erwecken.

Selbst für die Canzone im letzten Bild hat er von Strophe zu Strophe verschiedene Farben und Phrasierungsfinessen zu bieten. Auch singt er, was schwerergewichtigen Kollegen völlig verwehrt bleiben muss, die filigrane Duettkadenz mit Gilda im ersten Akt.

Olga Peretyatko ist ihm freilich eine ebenbürtige Gilda: lerchenhaft sichere Koloraturen und Triller stehen neben Passagen, die mittels dunklerer, gedeckterer Farben Liebesleid und Schicksalsergebung hörbar machen.

Hier besticht die Kombination von fabelhafter Technik mit natürlichem Ausdruck ebenso. Aufgrund dieser Tugenden ist auch Carlos Álvarez – wie Flórez ein Rollendebütant für Wien! – ein Rigoletto von außerordentlichem Format. In seinem makellosen Schöngesang schwingen alle Seelenregungen mit, ohne dass er je zum Forcieren oder zum Outrieren gezwungen wäre.


Wiens Orchesterwunder. Das ist, zugegeben, auch ein Verdienst Evelino Pidòs, der am Dirigentenpult dafür sorgt, dass die Begleitung nie zu derb wird, auf Tempodifferenzierungen der Sänger Rücksicht nimmt, dabei aber das immer zügige Grundtempo nie aus den Augen verliert.

Die Musiker nutzen die Sicherheit, die der Maestro ihnen gibt, um sensibel auf das Bühnengeschehen zu achten und – voran die Holzbläser und im Fall der „Cortigiani“ nicht zu vergessen: das Cello – oft im wahrsten Sinn des Wortes mitzusingen. Verdis geniale Koloristik nutzt man überdies als Vehikel, die philharmonisch perfekte Klangregie zu demonstrieren. Hierzulande bietet man der Operndramaturgie an inspirierten Abenden wie diesem auch ideale akustische Räume: Die sinistren Farbvaleurs der tiefen Streicher bei Ain Angers grandiosem erstem Auftritt als Sparafucile gehören ebenso dazu wie manch ätherische Umspielung des engelhaften Gesangs der Olga Peretyatko.


Vokale Kammermusik. In diesem Sinn fügen sich an einem solchen Repertoire-Abend, weil halt einmal wirklich alles stimmt, auch die Ensembles zu kammermusikalischen Miniaturen. Als stamme Verdis Satzkunst geradewegs von Mozart ab, hört man im berühmten Quartett vor dem blutigen Finale vier voneinander unabhängige Stimmen, jede erzählt von ihrer eigenen Befindlichkeit – und doch fügt sich alles zu höherer Harmonie. Keiner drängt sich in den Vordergrund, einmal führt Gildas Klagelaut, dann der sorgende Vater Rigoletto, die kokette Verführerin Maddalena lockt den Herzog nicht nur mit viel Bein, sondern auch mit suggestiven Mezzotönen – und die tenorale Kantilene rundet die Harmonien geschmeidig ab.

Ein kostbarer Augenblick an einem insgesamt aufregenden, idealen Opernabend. Wer keine der Reprisen dieser Sternstunde miterleben kann (25., 28., 31. Jänner), sollte sich am 28. an das Live-Streaming (www.staatsoperlive.com) halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2016)

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