„The Hateful Eight“: Tarantinos Blutrausch im Schneesturm

(c) Constantin/Andrew Cooper
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Die Guten muss man hier mit der Lupe suchen: In Quentin Tarantinos frostigem Western spielen acht Schurken um Zeit, Leben und Tod. Sein bisher ansehnlichster Film ist wortreich, grotesk – und durchdrungen von Paranoia.

Während sich draußen der Frühling ankündigt, hält auf den heimischen Leinwänden der Winter Einzug: Einen knappen Monat nach dem US-Start läuft Quentin Tarantinos frostiger Western „The Hateful Eight“ nun auch in Österreich an. Winterlich ist daran nicht nur das Setting, ein verschneiter Gebirgspass im Schatten der Rocky Mountains kurz nach dem Sezessionskrieg. Auch das Blut in den Adern des titelgebenden Figurenreigens, eines weidlich ungemütlichen Haufens durchtriebener Höllenhunde, ist von eisiger Temperatur.

Zunächst sind es zwei: Ein nahender Sturm, ein kahles Land, die Kutsche wackelt im Schneegestöber. Darin sitzen der Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell mit ungepflegtem Franz-Joseph-Bart) und seine bissige Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), die im Städtchen Red Rock dem Galgen versprochen ist. Unterwegs gabeln sie widerwillig weitere Passagiere auf: Marquis Warren (Samuel L. Jackson), einen weltgewandten Kollegen Ruths, und den redseligen Südstaatler und Ex-Marodeur Chris Mannix (dringlich: Walton Goggins). Das Unwetter zwingt die Reisenden zum Halt in Minnies Kurzwarenladen, der einzigen Raststätte weit und breit. Dort finden sie statt der Wirtin eine Gruppe Unbekannter: den Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), den Henker Oswaldo Mobray (Tim Roth, britischer als die Queen erlaubt), den zugeknöpften Mexikaner Bob (Demián Bichir) und den alternden Konföderiertengeneral Sanford Smithers (Bruce Dern). Dem Zuschauer ist ebenso klar wie den Ankömmlingen, dass etwas im Busch ist. Vor der Tür wüten die Winde, und im Schutz der Hütte nimmt ein Spiel auf Zeit, Leben und Tod seinen zunehmend blutigen Lauf.

Famoser Soundtrack

Der Titel von „The Hateful Eight“ – im Übrigen Tarantinos achte Regiearbeit – ist Programm. Sympathieträger muss man hier mit der Lupe suchen, und meint man einen gefunden zu haben, entpuppt er (oder sie) sich sogleich als Schurke oder Halunke, Sadist oder Rassist. Doch genau dieses Hütchenspiel der Charaktere und Beweggründe im moralischen Vakuum macht den Reiz des Films aus. Einerseits ist es die ansehnlichste Arbeit des Kultregisseurs (gedreht auf 70-mm-Film im breitesten Format aller Zeiten, in ausgewählten Kinos präsentiert als opulentes „Roadshow“-Event mit Ouvertüre und Zwischenakt, länger als alle bisherigen Tarantino-Filme) – aber aufgrund der hermetischen Einheit von Ort und Handlung auch dessen kompaktestes Genrestück nach „Reservoir Dogs“. Ein naheliegender (und durchaus beabsichtigter) Referenzpunkt ist John Carpenters antarktischer Horrorklassiker „The Thing“.

Mit diesem verbinden „The Hateful Eight“ nicht nur Kälte, Kurt Russell in ruppiger Bestform und ein famoser Soundtrack des italienischen Meisterkomponisten Ennio Morricone (der hier stellenweise seine eigenen Musikentwürfe für Carpenters Film verwertet), sondern auch die durchdringende Paranoia, die sukzessive auf Figuren und Publikum übergreift. Tarantino ist bekannt für dialogintensive Szenen, in denen eine Ahnung plötzlicher Gewalt die Spannung in ungeahnte Höhen treibt. „The Hateful Eight“ besteht (trotz humoristischer Untertöne) fast nur aus solchen Szenen.

Samuel L. Jackson hätte Oscar verdient

Konflikte entzünden sich nicht nur am allgemeinen Argwohn, auch politische Fronten sind schnell gezogen. Zwischen den beiden Sezessionisten und Warren, dem afroamerikanischen Yankee, kochen die Gemüter besonders hoch; ein Kapitel des Films heißt bezeichnenderweise „Black Man, White Hell“. Warren erweist sich als Provokationsmeister – allein schon für die garstige Räuberpistole, die er seinen Verächtern vor den Latz knallt, hätte Tarantinos Stammschauspieler Jackson einen Oscar verdient. Nominiert ist er nicht, dafür Jennifer Jason Leigh, die mit großem Gusto geifert und aus den zahlreichen Misshandlungen durch ihre Häscher unverdrossen negative Energie zu schöpfen scheint – ein formidables Spektakel.

Abschweifungen beschränkt das Drehbuch auf ein Minimum. Nur ein kurzer Zeitsprung vor dem dritten Akt erlaubt sich einen gewitzten Metakommentar zur Konstruiertheit des Grundszenarios. Schon zuvor kippt die wortreiche Hüttengaudi in lustvoll-groteskes Grand Guignol. Was bleibt, nachdem sich die Reihen gelichtet haben? Schwer zu sagen. Als subtextuelle Parabel auf zeitgenössische Zerwürfnisse der USA ist „The Hateful Eight“ letztlich zu albern und überspitzt. Schwarz-Weiß-Schemata zerfließen im bombastischen Blutbad, Tarantinos moralische Umnachtung macht alle (Raub-)Katzen grau.

Aber vielleicht liegt genau darin ein perverses politisches Moment: Wenn alle Schurken sind, gibt es keine Deutungshoheit, und die Menschen sind im Hass vereint. Dementsprechend kann auch die zynische Schlussgeste des Films als rechtsetzende Amtshandlung frischgebackener Bürger der Reconstruction-Ära gelesen werden – ein sinnloser Gewaltakt im Namen der Zivilisation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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