„Suffragette“: „Lieber Rebellin als Sklavin“

 Die Suffragetten Edith (Helena Bonham Carter) und Maud (Carey Mulligan) bei einer Demonstration, die später von der Polizei gewaltsam aufgelöst wird.
Die Suffragetten Edith (Helena Bonham Carter) und Maud (Carey Mulligan) bei einer Demonstration, die später von der Polizei gewaltsam aufgelöst wird.(c) Filmladen
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„Suffragette – Taten statt Worte“ zeigt eindrücklich, aber ohne Pathos, wie englische Arbeiterinnen für ihr Wahlrecht kämpften – und dabei auch zu radikalen Mitteln griffen.

Emmeline Pankhurst, die berühmteste der englischen Frauenrechtlerinnen, war mit Worten nicht weit gekommen. Sie hatte Überzeugungsarbeit bei Politikern geleistet, einige Abgeordnete des englischen Parlaments hatten ihr sogar zugesichert, ihre Vorlage für ein Frauenwahlrecht zu unterstützen. Doch am Ende wurde ihr Anliegen nicht einmal öffentlich diskutiert. 1903 gründete sie die Women's Social and Political Union. „Taten, nicht Worte“ war deren Motto.

Die Frauen der WSPU protestierten lautstark gegen die gesellschaftliche Ungleichbehandlung, wurden oft verhaftet, traten in Hungerstreik und wurden vom Gefängnispersonal mit Schläuchen zwangsernährt, was ihnen öffentliche Sympathie einbrachte. Ihre Methoden wurden zunehmend militanter, sie kappten Telefonkabel, schlugen Schaufenster ein, planten Brandanschläge. Es sei „der einzige Weg, den englische Politiker verstehen können“, schrieb Pankhurst in ihrer Biografie „Suffragette. Die Geschichte meines Lebens“, deren überarbeitete Fassung im April im Steidl Verlag erscheint.

Historisch ist umstritten, ob die Gewaltakte die Frauen in ihrer Sache letztlich weiterbrachten. Mit dem Ersten Weltkrieg verstummten die Suffragetten, erst 1928, wenige Wochen nach Pankhursts Tod, kam endlich das Wahlrecht für alle Frauen. Darauf geht der Film „Suffragette – Taten statt Worte“, der diese Woche ins Kino kommt, nur mehr im Abspann ein. Auch Pankhurst, schillernd gespielt von Meryl Streep, ist weniger als eine Nebenrolle zugedacht. Man bekommt sie nur in einem kurzen Gastauftritt zu Gesicht, in dem sie von einem Balkon aus eine Rede hält: Jedes Mädchen, das heute geboren wird, solle dieselben Rechte haben wie seine Brüder, sagt sie. Und endet mit den viel zitierten Worten: „I'd rather be a rebel than a slave.“ Die versammelten Frauen jubeln.

Sie haben fast nichts und riskieren alles

Es ist dem Film von Regisseurin Sarah Gavron nach einem Drehbuch von Abi Morgan („The Iron Lady“) hoch anzurechnen, dass er sich um sie dreht: Frauen aus der Arbeiterklasse, die weder die finanziellen Mittel haben, ihren Protest ohne große Opfer durchzuziehen, noch den gesellschaftlichen Status, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen. Sie haben fast nichts und riskieren doch alles: Maud Watts (Carey Mulligan), ein Kompositum aus mehreren realen Figuren, schuftet in einer feuchten Londoner Wäscherei, seit sie sieben ist. Die Frauenbewegung ist ihr zunächst suspekt, ihre erste Begegnung mit Pflastersteine werfenden Frauen verschreckt sie. Doch politisch geweckt von ihrer Kollegin Violet (Anne-Marie Duff) und der entschlossenen Apothekerin Edith (Helena Bonham Carter) macht sie sich die Forderungen der Suffragetten zunehmend zu eigen.

Ihr Engagement führt sie einige Male ins Gefängnis, woraufhin sie ihre Arbeit, ihren Mann (glaubhaft verunsichert: Ben Whishaw) und ihren Sohn verliert, der gegen ihren Willen zur Adoption freigegeben wird. Sie habe Schande über ihre Familie gebracht, keifen die Nachbarn. Mulligan gibt Maud als stoisch leidende Frau, die zwar Willensstärke ausstrahlt, bei Demütigungen aber so lange passiv bleibt, dass man sie als Zuschauerin am liebsten packen und schütteln würde. Ihre Radikalisierung wird eindrücklich erzählt: Da sieht man dann fast mit Genugtuung zu, wie sie und ihre Mitstreiterinnen schließlich zu rabiaten Mitteln greifen und Postkästen, ja sogar das neu gebaute Haus des späteren Premierministers David Lloyd George in die Luft sprengen.

Das Militante scheint freilich wenig zielführend zu sein, wenn man bedenkt, wie die Männer im Film porträtiert werden: Bis auf wenige Ausnahmen sind sie ignorant, selbstgefällig, pathologisieren den Kampf der Suffragetten. Jeder Aufruhr der Frauen wird von den Männern als Bestätigung gesehen, dass ihre Psyche instabil sei – und dass es dumm wäre, ihnen ein Wahlrecht, ein Recht über ihre Kinder oder sich selbst zu geben.

Historisch unterfüttert

Die Gewaltakte der Frauen beurteilt „Suffragette“ nicht. Vielmehr zeigt der Film die Frauen als standhafte Kämpferinnen, die keinen anderen Ausweg sehen, als zum Sprengstoff zu greifen. Ohne Pathos, aber nicht minder schmerzvoll und mit zahlreichen historischen Daten unterfüttert schildert er, wie unmündig sie in Familie, Arbeit und Gesellschaft behandelt wurden, wie sehr sie dem Wohlwollen der Männer ausgeliefert waren und mit welcher Brutalität ihre Bemühungen, mehr Selbstbestimmtheit zu erlangen, von den Behörden, denen natürlich Männer vorstanden, niedergeschlagen wurden. Und er erinnert daran, dass ihre Forderungen bis heute nicht in allen Teilen der Welt eine Selbstverständlichkeit sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

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