Harter Kampf um die Spitze der UNO

Wer folgt Ban Ki-moon nach? Die Entscheidung muss Ende des Jahres stehen.
Wer folgt Ban Ki-moon nach? Die Entscheidung muss Ende des Jahres stehen.(c) REUTERS (JACKY NAEGELEN)
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Das Rennen um die Nachfolge von Generalsekretär Ban Ki-moon ist in vollem Gang. Diesmal soll der UN-Chef aus Osteuropa kommen. Das Problem: Russland muss zustimmen.

New York/Wien. Nicht nur in den USA, auch bei den Vereinten Nationen steht in diesem Jahr eine Entscheidung von praktisch weltpolitischer Bedeutung an: Die UNO sucht einen neuen Generalsekretär. Die zweite Amtszeit von UN-Chef Ban Ki-moon läuft Ende des Jahres aus, und hinter den Kulissen ist der Kampf um seine Nachfolge schon voll entbrannt.

Nach einem ungeschriebenen Rotationsprinzip soll der Chefdiplomat der Welt diesmal aus Osteuropa kommen – was das Rennen besonders spannend macht. Denn damit erhält eine ohnehin gewichtige Stimme bei der Auswahl eine umso größere Bedeutung: Russlands Präsident Wladimir Putin.

Angesichts der aktuellen Spannungen zwischen Moskau und dem Westen halten es viele Diplomaten für ausgeschlossen, dass die Veto-Macht Russland einem Generalsekretär aus einem Nato-Land zustimmen könnte. Und fast alle, die aus der osteuropäischen Gruppe bisher nominiert oder auch nur ins Gespräch gebracht worden sind, scheiden nach diesem Kriterium schon einmal aus.

Washington und Moskau

Daran ändert auch nichts, dass der UN-Generalversammlung in diesem Jahr zum ersten Mal eine größere (nominelle) Rolle eingeräumt wird. Bisher hatte sie die Entscheidung des Sicherheitsrats – de facto: der fünf ständigen Mitglieder USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland – lediglich abgenickt. Heuer nimmt sie die offiziellen Kandidatenvorschläge entgegen und veranstaltet Hearings mit den Bewerbern, was den Prozess transparenter machen soll. Dennoch: Gerade in diesem Jahr „fällt die Entscheidung zwischen Washington und Moskau“, sagte ein Diplomat der „Presse“.

Als Erster wurde nach dem neuen Verfahren offiziell der frühere slowenische Präsident Danilo Türk nominiert, ein Mann mit viel Erfahrung bei den Vereinten Nationen, aber eben aus einem Nato-Land. Kroatien hat seine Außenministerin, Vesna Pusić, aufgestellt, die zwar den Vorteil hat, eine Frau zu sein – denn auch das ist diesmal ausdrücklich erwünscht –, aber als chancenlos gilt. Montenegro, das im Dezember unter scharfen Warnungen aus Moskau eine offizielle Beitrittseinladung der Nato, die Vorstufe zur Mitgliedschaft, erhalten hat, schickt Außenminister Igor Lukšić ins Rennen.

Unter den bisher offiziell Nominierten verbleibt somit ein „neutraler“ Bewerber: Srgjan Kerim aus Mazedonien, ein als alter Jugoslawien-Apparatschik geltender Ex-Außenminister und einstiger Präsident der UN-Generalversammlung. Mazedonien ist weder EU- noch Nato-Mitglied und setzt, wie es heißt, auf die Unterstützung der Blockfreien-Bewegung. Kerim ist zudem Muslim, was eine Premiere an der Spitze der UNO wäre (Ex-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali aus Ägypten war Kopte). Das, meinen manche, „ist gar keine so schlechte Ausgangslage“.

Doch die Liste der potenziellen Kandidaten ist viel länger, und das interessanteste Schlachtfeld um die Nominierung findet sich derzeit in Bulgarien: Dort bringen sich gleich zwei Frauen in Stellung. Die Generaldirektorin der UN-Kulturorganisation Unesco, Irina Bokova, wirbt seit Monaten für sich und behauptet, sogar russische Unterstützung zu haben. Immerhin unterhält sie gute Beziehungen zu Moskau. Ihr Pech aber ist, dass sie von Bulgariens früherer sozialistischer Regierung unterstützt wurde – die neue von Premier Bojko Borrissow hat sich noch nicht entschieden.

Mit der Vizechefin der EU-Kommission, Kristalina Georgieva, hat sie zudem ein Konkurrentin, die über ein starkes internationales Profil verfügt. Dass Ban Ki-moon Georgieva in ein hochrangiges Gremium zur Finanzierung von humanitärer Hilfe berufen hat, wurde außerdem als Zeichen gewertet, dass diese zu den Topfavoritinnen des jetzigen Generalsekretärs zählt.

Und Angela Merkel?

Angesichts der Unsicherheit, ob eine Wahl aus Osteuropa gelingt, melden schon andere Staaten ihr Interesse an dem Top-Posten an. Hohes Ansehen genießt der eben aus dem Amt geschiedene langjährige Flüchtlingshochkommissar, António Guterres, aus Portugal. Australien propagiert Ex-Premier Kevin Rudd, Neuseeland die frühere Regierungschefin Helen Clark. Und weil eine ganze Reihe von Ländern eine Frau an der Spitze der UNO fordert, bringen besonders die lateinamerikanischen Staaten ihre Damen ins Spiel, etwa Chiles Präsidentin Michelle Bachelet.

Und dann wäre da noch Angela Merkel, die deutsche Kanzlerin und „mächtigste Frau der Welt“. Dass sie infrage kommt, ist ein bloßes Gerücht. Auch sie selbst hat abgewinkt. Aber ihr Name hält sich hartnäckig in den Spekulationen über Kompromisskandidaten, die in letzter Minute aus dem Hut gezaubert werden könnten. Womöglich wäre sie den fünf Veto-Mächten, die sich keinen sehr mächtigen UN-Chef wünschen, aber ohnehin zu stark. Denn, sagt ein Diplomat, „auch als UN–Generalsekretärin bliebe Merkel immer noch Merkel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

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