Carey Mulligan: "Sexismus ist heute subtiler"

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Die britische Schauspielerin Carey Mulligan über ihre Rolle in "Suffragette", den Sexismus in der Filmbranche und warum Klassiker spannendere Heldinnen zu bieten haben als Drehbücher aus dem 21. Jahrhundert.

Mit historischen Geschichten kennt Carey Mulligan sich aus. Die Londonerin gab ihren Kinoeinstand mit einer kleinen Rolle in der Jane-Austen-Adaption „Stolz und Vorurteil“, feierte ihren Durchbruch (und ihre erste Oscar-Nominierung) mit der Sechzigerjahre-Geschichte „An Education“ und war auch in „Der große Gatsby“, „Inside Llewyn Davis“ und „Am grünen Rand der Welt“ zu sehen. Nun kehrt die 30-Jährige, die mit Musiker Marcus Mumford verheiratet ist und im Herbst 2015 erstmals Mutter wurde, in „Suffragette“ auf die Leinwand zurück.

Der Titel Ihres neuen Films, „Suffragette“, ist ein Begriff, den man durchaus kennt. Aber was wussten Sie vorab wirklich über diese Anfangstage der britischen Frauenbewegung?

Carey Mulligan: Ich hatte von den Suffragetten natürlich schon gehört, verfügte aber eher über ein Basiswissen, was ihre Geschichte angeht. Emmeline Pankhurst zum Beispiel, die von Meryl Streep gespielt wird, war mir ein Begriff. Aber was damals wirklich abgelaufen ist, all diese unglaublichen Ereignisse und Details, habe ich erst in der Vorbereitung gelernt. Schon das Drehbuch war ein Augenöffner. Wie diese mutigen Frauen tatsächlich von der Polizei und anderen Obrigkeiten behandelt wurden, hat mich dabei ganz schön erschüttert. Vieles habe ich gegoogelt, weil ich gedacht habe, dass unsere Autorin ein wenig übertrieben haben müsse. Aber das Gegenteil war der Fall.

Also ist „Suffragette“ in erster Linie eine spannende Geschichtsstunde? Für das Frauenwahlrecht muss ja heute zum Glück nicht mehr gekämpft werden.

Nicht bei uns. Aber es ist heute nicht überall auf der Welt eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen wählen dürfen. Dass wir in der westlichen Welt seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Sachen Gleichberechtigung viel erreicht haben, ist unbestritten. Aber auch bei uns ist noch nicht alles rosig. Man muss nur an jemanden wie Malala Yousafzai denken, die sich für ihren Kampf um Bildung für Mädchen sogar von den Taliban niederschießen lassen musste, um zu sehen, welchen aktuellen Bezug „Suffragette“ hat. Frauen, die für ihre Rechte einstehen und dabei auf gehörigen Widerstand stoßen, gibt es noch immer und überall.

Bezeichnen Sie selbst sich eigentlich als Feministin?

Oh ja, auf jeden Fall. Mir würde auch keine Frau in meinem Freundes- und Bekanntenkreis einfallen, die das nicht von sich behauptet. Man kann sich natürlich ewig mit Labels aufhalten, es gibt die unterschiedlichsten Schattierungen dieses Begriffs. Aber ich kann gar nicht anders, als mich mit dem grundsätzlichen Kern zu identifizieren. Schließlich will ich unbedingt in einer Gesellschaft leben, in der Frauen und Männer in wirklich jeder Hinsicht gleichberechtigt sind.

Ausgerechnet in der Filmbranche ist das nicht immer der Fall. Ihre Kollegin Jennifer Lawrence prangerte etwa ungleiche Gehälter an. Wie erleben Sie das?

Was ich erlebe, ist nicht unbedingt der ganz unverhohlene Sexismus, wie ich es mir zu Beginn meiner Karriere in dieser Branche erwartet hätte. Mächtige Männer, die ihre Autorität missbrauchen, um junge, leicht beeinflussbare Mädchen auszunutzen – das war früher sicher die Regel, ist heute aber längst nicht mehr so präsent. Der Sexismus in Hollywood heute ist viel subtiler. Da geht es darum, wie Frauen auf der Leinwand gezeigt werden. Dass Filme überwiegend von Männern für Männer geschrieben werden. Und es gibt einen Mangel an Rollen, die wirklich echte, authentische Frauen statt irgendwelcher Wunschfantasien zeigen. Sie glauben gar nicht, wie viele Drehbücher ich lese, in denen die Frauenfigur kaum mehr als die Karikatur einer echten Frau ist.

Es gibt also Nachholbedarf in Sachen Repräsentation.

Ohne Frage, jede Menge. Die Krux ist natürlich das Geld: Jahrelang ruhte man sich in Hollywood auf der Idee aus, dass nur das männliche Publikum an der Kinokasse die Entscheidung trifft. Nach und nach dämmert es auch dort den Entscheidern, dass das nicht zwangsläufig stimmt und sich auch mit Frauen in der Hauptrolle Geld machen lässt. Dazu, dass langsam echte Veränderung einsetzt, hat Jennifer (Lawrence, Anm.) mit ihren „Tributen von Panem“ erheblich beigetragen.

Dass Sie selbst viel häufiger historische Figuren als moderne Frauen spielen, ist in diesem Zusammenhang also kein Zufall, oder?

Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Starke, eigensinnige Frauen, wie ich sie zuletzt in „Am grünen Rand der Welt“ oder eben „Suffragette“ gespielt habe, begegnen mir in den wenigsten der zeitgenössischen Geschichten, die als Skript auf meinem Tisch landen. Eigentlich absurd, dass die Klassiker der Literaturgeschichte spannendere Heldinnen zu bieten haben als viele Filme des 21. Jahrhunderts. Dabei muss ich dazu sagen, dass es natürlich absoluter Luxus ist, dass ich all diese uninteressanten Projekte einfach absagen und mir die Rosinen herauspicken kann.

Hinter der Kamera sieht es mit den Chancen für Frauen auch nicht viel besser aus . . .

Glauben Sie, es hätte so viele Jahre gedauert, einen Film über die Suffragetten zu drehen, wenn diese Geschichte von Männern handeln würde? Und wie kann es sein, dass es in all den Jahrzehnten der Hollywood-Geschichte nur drei Frauen gegeben hat, die für den Regie-Oscar nominiert waren? Die längste Zeit haben wir alle diesen Status quo als normal akzeptiert. Als ich im Herbst in den USA eine Rede anlässlich „Suffragette“ hielt, gab es Applaus, als ich erwähnte, dass dieser Film von Frauen geschrieben, inszeniert und produziert wurde. Das war natürlich nett, aber auch bizarr. Denn eigentlich sollte so etwas eine Selbstverständlichkeit sein.

Haben Sie schon einmal daran gedacht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und einen Film zu inszenieren oder zu schreiben?

Ich bin definitiv keine Autorin, das weiß ich mit Sicherheit. Da geht mir das Talent vollkommen ab. Das Regieführen würde mich dagegen eigentlich sehr reizen, irgendwann zumindest. Allerdings ist das ein verdammt harter Job. Wenn man nicht eine echte Vision und vor allem unglaublich viel Entschlossenheit hat, wird das nichts. Abgesehen davon, dass ein solches Projekt für eine Weile von deinem ganzen Leben Besitz ergreift, jahrelang, jeden Tag. Bis ich dafür bereit bin, wird es sicher noch ein wenig dauern. Zumal ich mich als Regisseurin sicherlich erst einmal am Theater, meiner großen Liebe, versuchen würde, bevor ich einen Film auf mich nehme.

Im Moment genießen Sie vermutlich ohnehin erst einmal Ihre Babypause, oder?

Natürlich, aber es gibt auch schon ein paar Projekte, die demnächst konkret werden könnten. Ich würde mich eigentlich freuen, wenn ich in diesem Jahr schon wieder ein bisschen arbeiten könnte. Aber ich wäre genauso froh, wenn die Auszeit noch bis 2017 weitergeht, wenn ich ehrlich bin. Dass ich in der glücklichen Lage bin, mir das erlauben zu können, ist schon etwas Besonderes. Solange also nicht die absolut perfekte Rolle auf mich wartet, sitze ich die Sache gern noch ein wenig aus.

Wie sieht es eigentlich mit Ihrem privaten politischen Engagement aus?

Offen gestanden war ich nie eine Person, die protestierend durch die Straßen Londons marschierte. Ich bin nicht so der Demo-Typ. Aber ich bin alles andere als politisch desinteressiert oder gleichgültig, was unsere Gesellschaft angeht. Deswegen stecke ich viel Zeit und Energie in zwei sehr unterschiedliche Wohltätigkeitsorganisationen: Alzheimer's Society und War Child, die sich um Kinder in Kriegsgebieten kümmert. Auf deren Arbeit bin ich sehr stolz. Ich tue dafür, was ich kann. Auch wenn ich mich in absehbarer Zeit sicher nirgends an Gitter ketten oder Schienen blockieren werde.

Steckbrief

Carey Mulligan
wurde 1985 in London geboren und lebte in ihrer Kindheit fünf Jahre in Deutschland.

2005
war sie in ihrer ersten Rolle in der Jane-Austen-Adaption „Stolz und Vorurteil“ zu sehen. Es folgten Rollen im Royal Court Theatre sowie in Fernsehproduktionen.

2009
wurde sie für ihre Rolle in dem Spielfilm „An Education“ unter anderem für den Oscar und den Golden Globe nominiert. Außerdem war sie u.a. in „Wall Street: Geld schläft nicht“, „Der große Gatsby“ „Inside Llewyn Davis“ und „Am grünen Rand der Welt“ zu sehen .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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