Kunsthalle Wien: „Ich bin sichtbar. Ich bin Bild“

Keinen Millimeter weiter: Luigi Gariglio porträtierte Stripteasetänzerinnen.
Keinen Millimeter weiter: Luigi Gariglio porträtierte Stripteasetänzerinnen.(c) Kunsthalle Wien
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Mit einer schönen Ausstellung von Porträtfotografie gelingt Peter Weiermair ein sinnlicher Parcours, der nach männlich/weiblichen Blicken fragen lässt.

Es ist kein angenehmer Blick, den Heath Ledger da mit niedergeschlagenen Augen zur Seite wirft, dabei nachlässig mit dem Insignium der Macht, einem fetten Siegelring auf der linken Hand, spielend. Es ist ein dunkler, verwegener Blick. Im Nachhinein fällt es einem leicht zu sagen – er verheißt nichts Gutes. Greg Gorman hat ihn in dieser nachdenklichen Pose, gehüllt ins Casanova-Lotterhemd, bei einer Drehpause 2004 in Venedig abgelichtet.

Vier Jahre später wird der Schauspieler tot sein, er ist noch nicht einmal 29. Der fast doppelt so alte amerikanische Fotograf liebt es, in seinen Fotos die Verwundbarkeit, wie er sagt, die „feminine Seite“ junger Stars einzufangen, die er versucht, noch vor ihrem Durchbruch zu erhaschen.

Die Jagd nach der Jugend, nach diesem letzten Moment Unschuld, das zieht sich wie ein Faden durch die große Sommerausstellung der Wiener Kunsthalle. Fotoexperte und Hausfreund Peter Weiermair hat sie der Porträtfotografie seit den 1980er-Jahren gewidmet und versucht, sie so sinnlich wie möglich zu gestalten, was ihm durchaus spannend gelungen ist. Wer sich hier nämlich nur Gesichter erwartet, wird überrascht werden, für Weiermair und viele seiner Künstler und Künstlerinnen gehören der Körper, die Gestik, das Umfeld wesentlich zu einem umfassenden Porträt dazu.

Dass diese Körper des Öfteren auch nackt sind, zeigt eine eigentlich recht altmodische Sehnsucht nach Authentizität, nach einem wahren Kern, ohne Verkleidung, ohne Versteck. Und bedient natürlich immer auch den Voyeur im Fotografen, der, ist er männlich, explizit auch die Sexualorgane darstellt. „Der männliche Blick“, so Weiermair, „ist an sich viel fetischistischer als der weibliche.“ Und das lässt sich zum Teil in der Ausstellung auch schön nachvollziehen.

„Ron“ darf Höschen anbehalten

So sucht etwa Amy Elkins, wie Gorman, eine Verwundbarkeit, eine feminine Seite in den jungen, unbekannten Männern, die sie oft in ihrem Schlafzimmer vor florale Tapetenmuster stellte. Aber die Kamera zeigt, anders als Gorman, vorwiegend die Halbfigur. Oder sonst darf „Ron“ sein Höschen anbehalten. Natürlich wird diese einfache Systematik männlich/weiblich durchbrochen.

Dezidiert von Luigi Gariglio, der Stripteasetänzerinnen, gerade um die Objekthaftigkeit ihrer Körper zu konterkarieren, in schönen geraden Porträtfotos zeigt, bis kurz vor den Brustansatz, keinen Millimeter weiter. Betitelt sind die Bilder dekuvrierend aber dennoch nur mit den Vornamen dieser morgens aufgenommenen Schönen der Nacht, Naomi, Samara, Vanessa. Ganz radikal uninteressiert an dem, was die meisten Fotografen im Dialog mit ihren Modellen zu erreichen versuchen, nämlich zur eigentlichen, unmaskierten Persönlichkeit durchzudringen, ist die französische Fotografin Valerie Belin. Sie will nichts über ihre Modelle wissen, sucht sich professionelle aus Agenturkatalogen aus und fotografiert sie dann vor schwarzem Hintergrund frontal, einfach ausgeleuchtet. Nachher ebnet sie die Haut am Computer noch zusätzlich ein. Bis die sechs Männer, sechs Frauen wie „Avatare“ wirken, beschreibt Belin. Auffällig an dieser eiskalten Musterreihe unserer aktuellen Schönheitsvorstellung ist, wie die Geschlechter miteinander verschwimmen – männlich, weiblich? Androgyn ist das Ergebnis, mit dem die Werbung anscheinend am effektivsten zu uns vorstoßen kann.

Diese extreme Künstlichkeit, vertreten in der Ausstellung noch am ehesten von den kühlen, allein der Schönheit verpflichteten Studieninszenierungen eines Robert Mapplethorpe, ist allerdings untypisch für die Entwicklung der Porträtfotografie der vergangenen 30 Jahre. Prägender war das System Nan Goldin, die recht schonungslos, tagebuchartig ihr Umfeld zeigte, ihre aidskranken Freunde, die glamourösen Partynächte, das devastierte Erwachen. Es ist das projekthafte Untersuchen des Dargestellten, so Weiermair, das die Porträtfotografie seit den 80er-Jahren am meisten auszeichnet.

Darin ist sowohl ein Nachgeschmack der konzeptuellen Fotografie der Sechziger- und Siebzigerjahre zu spüren, wie auch der alte Sinn für Schönheit, das Vertrauen in das Bild und seine Wirkung, das seit Jahrhunderten mit der Porträtkunst verbunden wird. Wie zitierte Kunsthallen-Direktor Gerald Matt doch so schön Baudrillard: „Ich bin sichtbar. Ich bin Bild.“

Bis 18.Oktober in der unteren Kunsthalle, täglich 10 bis 19Uhr, Do 10 bis 22Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2009)

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