Deka-Chefvolkswirt: „Vieles steckt noch in den Knochen“

(C) DekaBank
  • Drucken

Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank. Mit der „Presse“ sprach er über das bisher turbulente Aktienjahr und wie man das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen kann.

Die Presse: Das Aktienjahr hat sehr turbulent begonnen. Die Märkte sind extrem volatil. Wie wird es weitergehen?

Ulrich Kater: Ich glaube nicht, dass sich die Befürchtungen, die derzeit auf den Aktienmärkten gespielt werden, im Jahresverlauf auch bewahrheiten. Zurzeit wird eine deutliche Rezession angenommen. Zwar kann man an der Qualität des weltweiten Konjunkturaufschwungs zweifeln, ich glaube aber, dass das Wirtschaftswachstum in den USA und Europa genug Substanz hat, um die Schwachstellen handhabbar zu machen. Trotz schwächelnder Schwellenländer und geopolitischer Risken rechnen wir in den nächsten Wochen mit einer Stabilisierung der Aktienmärkte.

Die Börsen nehmen in der Regel aber viel vorweg.

Die Börsen sind in der Tat Risikoseismografen. Wenn sich Risken abzeichnen, dann bilden die Märkte das heute in den Preisen ab. Das heißt aber nicht, dass diese Risken eintreten müssen. In diesem Fall kommt es wieder zu einer Korrektur nach oben. Das ist ja auch eine der Funktionen der Börsen.

Was macht Sie so sicher, dass sich nicht die nächste Finanzkrise zusammenbraut? Die Investoren haben ja gerade die Deutsche Bank im Visier.

Mit Sicherheit kann man heute leider nichts sagen. Die Finanzkrise liegt zwar fast ein Jahrzehnt zurück, die Märkte haben aber ein langes Gedächtnis, vieles steckt noch in den Knochen. Schlechte Kredite belasten das Bankensystem durchaus. Der Pessimismus selbst stellt daher sicherlich die größte Gefahr dar. Am Ende kann er nämlich in die reale Wirtschaft zurückschnappen. Das ist unser Risikoszenario und auch die schlechteste Entwicklung, die in diesem Jahr geschehen kann. Wir halten eine solche Entwicklung aber für unwahrscheinlich.

Warum? Auf dem amerikanischen Energiesektor gibt es beispielsweise große Probleme.

Diese Probleme beziehen sich auf einen Sektor in der Wirtschaft, der zwar wichtig ist, jedoch nur einen kleineren Teil der Volkswirtschaften ausmacht. Der Industriesektor insgesamt macht in den meisten Volkswirtschaften weniger als ein Viertel der Wirtschaftsleistung aus, der Energiesektor ist wiederum ein kleiner Teil hiervon. Der allergrößte Teil der Welt besteht aus der Dienstleistungsproduktion und die zeigt sich relativ robust. Konsum, Dienstleistungen und Binnenwirtschaft sind die gegenwärtigen Stabilisatoren.

Die Banken haben den US-Frackingboom mitfinanziert, der nun von Saudiarabien bewusst in die Knie gezwungen wird. Große Kreditausfälle könnten eine Negativspirale in Gang setzen.

Wir glauben aber, dass Kreditausfälle im Energiesektor handhabbar sind. Das Problem liegt gegenwärtig mehr in der Angst vor Ausfällen als in den Ausfällen selbst.

Wie könnte man das Vertrauen der Investoren wiedergewinnen?

Die Zentralbanken können natürlich beruhigende Signale senden, aber am Ende müssen die Themen von Unternehmenspleiten und Umstrukturierungen abgearbeitet werden. Wenn man sieht, dass diese Fälle verarbeitet werden können, ist das eine positive Botschaft.

Können die Notenbanken noch Vertrauen auf den Märkten schaffen?

Bei der Stabilisierung des Finanzsystems sehe ich die Notenbanken durchaus noch als handlungsfähig. Ultima Ratio wären beispielsweise erweiterte Anleihenkäufe, etwa bei Unternehmensanleihen, in allerletzter Konsequenz auch von Banken selbst.

Würden die Notenbanken damit nicht zu einer Art Müllhalde?

So weit es sich um die Durchbrechung einer selbst erfüllenden Negativspirale handelt, nicht. Hier ist großes Fingerspitzengefühl der Geldpolitiker vonnöten. Ihre Stabilisierungsfunktion haben die Notenbanken allerdings in der Vergangenheit gut erfüllt.

Was können die Notenbanken nicht leisten?

Wachstum kann auf Dauer auch keine Notenbank kaufen, das zeigen die gegenwärtigen Erfahrungen immer deutlicher. Wachstum findet in der Wirtschaft statt.

Müsste die Europäische Zentralbank neue Ziele definieren?

Da ist sicher ein längeres und intensiveres Nachdenken angezeigt, was Notenbanken können und was nicht. Das haben Wissenschaft und Praxis in der Vergangenheit natürlich bereits getan; allerdings ist in den vergangenen Jahren eine Reihe von Erfahrungen hinzugekommen, die man einordnen sollte. Das ist aber kein Thema allein für die EZB, sondern für alle Notenbanken.

Was wäre ein realistisches Ziel, das sich die Notenbanken setzen könnten?

Bei der Anpassung von Zielen würde sich am Ende vielleicht gar nicht so viel ändern. Eventuell würden sie sich von der Fähigkeit, die Inflation nach unten beeinflussen zu können, verabschieden müssen. Nach oben können die Notenbanken die Inflation sehr effektiv begrenzen, aber nach unten ist diese Fähigkeit sehr viel schwieriger. Doch so eine Diskussion ist in Stresszeiten wie diesen nicht über das Knie zu brechen, die Zentralbanken werden auch in den kommenden Wochen ihre Rolle als Krisenüberwacher und -manager spielen.

ZUR PERSON

Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Deka-Bank. Kater studierte Volkswirtschaftslehre an der Uni Göttingen und Köln. Von 1995 bis 1999 war er im Stab des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Die Deka-Bank ist die Wertpapiergesellschaft der deutschen Sparkassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Steel Manufacture At Voestalpine AG Linz Plant
International

Deka-Chefökonom: Österreich hat Talsohle durchschritten

An den Finanzmärkten ortet Ulrich Kater eine Misstrauensstimmung, die ihren Ausgang in China genommen hat. Beim Öl erwartet er eine steigende Nachfrage.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.