„Colonia Dignidad“: Gefangen in der „Kolonie der Würde“

Colonia Dignidad Emma Watson
Colonia Dignidad Emma Watson(c) Filmladen
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Im Film „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ versucht eine junge Frau ihren Geliebten aus den Fängen einer Sekte in Pinochets Militärdiktatur zu befreien. Die Kolonie gibt es heute noch.

Daniel (Daniel Brühl) kocht Frühstück, nackt unter seiner Schürze. Lena (Emma Watson) schleicht sich heran, knipst Fotos – und klebt eines der Bilder neben seinen Badezimmerspiegel. „My Man“ schreibt sie darauf. Ganz schön besitzergreifend! Es ist keine andere Frau, die ihn ihr im Film „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ wegnimmt, sondern die Politik. Nach dem Militärputsch von Augusto Pinochet in Chile 1973 werden die beiden mit Hunderten anderen potenziellen Dissidenten in der Hauptstadt Santiago de Chile zusammengetrieben und in ein Fußballstadion gesperrt. Ein Informant – mit einem schwarzen Sack über dem Kopf, der nur ein Auge freilässt – identifiziert Daniel als Anhänger des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Lena kommt frei, aber Daniel wird in die Sekte Colonia Dignidad, die unterirdische Folterkammern betreibt, gebracht. Lena folgt ihm, schließt sich unter einem Vorwand der christlich-fundamentalistischen Gemeinschaft an, um ihren Geliebten zu befreien.

Man kann den Film als Liebesgeschichte über ein Paar, das alle Hindernisse überwindet, sehen. Und als Aufarbeitung der Geschichte der realen Colonia Dignidad. Gegründet vom Deutschen Paul Schäfer (im Film vom Schweden Mikael Nyqvist dargestellt) wurde die „Kolonie der Würde“ als Folterzentrum des chilenischen Geheimdienstes genutzt. Schäfer herrschte totalitär über seine Gefolgschaft und sicherte seine Macht ab, indem er Familieneinheiten trennte – Männer und Frauen hatten kaum Kontakt, auch die Kinder wurden isoliert. Nichts, auch kein familiärer Zusammenhalt, sollte über dem Sektenführer stehen. Ihren Kontakt zu Rechtsextremen nutzte die Colonia Dignidad für Waffenlieferungen an die Militärs. Im Gegenzug durfte Schäfer tun, was er wollte. Vor den Vorwürfen des Kindesmissbrauchs und der Kindesentführung schlossen Polizei und Justiz, ja selbst das deutsche Konsulat, die Augen.

Wenige Spielfilme über Pinochet

Dass diese Geschichte noch kein Stoff für Hollywood war, verwundert. Aber es gibt insgesamt wenige Spielfilme über die Grausamkeiten in der von den USA unterstützten Militärdiktatur Pinochets, noch weniger, die außerhalb Südamerikas produziert wurden. Die bekannteste US-Produktion, „Missing“ – in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet –, stammt von 1982, und der Vermisste im Film ist kein Chilene, sondern Amerikaner. Auch in „Colonia Dignidad“ sind die handlungstragenden Figuren Ausländer, Pinochet selbst ist nur Randfigur. Die solide inszenierte, spannende Mischung aus Politthriller, Psychodrama und Liebesgeschichte des Münchner Regisseurs Florian Gallenberger konzentriert sich auf Schäfers „Kolonie“ und den psychischen Terror, den der Sektenführer ausübte. Dieser traf Frauen besonders: Fortwährend werden sie als „unrein“ und „Huren“ bezeichnet. Bei „Herrenversammlungen“ müssen sie regelmäßig ihre Sünden beichten – und werden anschließend geschlagen und beschimpft. Demütigung als eine Art Ersatzbefriedigung für unterdrückte Triebe.

Für Schauspielerin Emma Watson ist die Rolle der resoluten Lena eine kluge Wahl. Ihre Bekanntheit als Star aus den „Harry Potter“-Filmen nutzt sie inzwischen, um für einen sanften Feminismus zu werben. „Colonia Dignidad“ passt zu diesem neuen Image: weil endlich einmal eine Frau einen Mann rette, wie sie in Interviews betont.

Die „Kolonie der Würde“ gibt es übrigens immer noch – sie nennt sich nun Villa Baviera („Bayerisches Dorf“), betreibt ein Restaurant und ein Hotel. Wo früher Menschen gefoltert wurden, feiert man heute Oktoberfest.

Colonia Dignidad

1961 gründete der Deutsche Paul Schäfer in Chile die Colonia Dignidad („Kolonie der Würde“). Er war aus Deutschland geflohen, wo ihm zwei Jugendliche vorgeworfen hatten, sie missbraucht zu haben.
Das Areal der Sekte war von einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben. In den Jahren der Pinochet-Diktatur war es auch Folterlager.
Mitte der 1990er Jahre gab die Justiz einen Haftbefehl gegen Schäfer aus. Der Vorwurf: Kindesmissbrauch. Er tauchte unter und wurde erst 2005 geschnappt. 2010 starb er im Gefängnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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