Papst zur Krise: "Nicht Opfer sein, sondern Gestalter werden"

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In seinem Lehrschreiben zu gesellschaftlichen Fragen nimmt Benedikt XVI. in erster Linie zur Wirtschaftskrise Stellung. Er sieht sie als Chance "unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben".

Papst Benedikt XVI. hat die Wirtschaftskrise als Chance bezeichnet und die Welt einen Tag vor dem G8-Gipfel zum Umdenken aufgerufen.

"Die Krise verpflichtet uns, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu finden, auf positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen zu verwerfen", schreibt Benedikt in seiner am Dienstag veröffentlichten ersten Sozialenzyklika.

Einem ungezügelten Kapitalismus, unregulierten Marktkräften und Protektionismus erteilt er eine Absage. Stattdessen fordert der Papst die Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns an ethischen Zielen und eine "echte politische Weltautorität" zur Kontrolle der Wirtschaft.

Sozialenzyklika

Die Sozialenzyklika "Caritas in veritate" (Die Liebe in der Wahrheit) von Papst Benedikt XVI., die in Rom veröffentlicht wurde, setzt die entsprechende Reihe päpstlicher Rundschreiben fort. Die Sozialenzykliken bilden das Fundament der katholischen Soziallehre. Die Päpste nehmen darin seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu grundlegenden gesellschaftlichen Fragen in verbindlicher Weise Stellung.

Benedikt befasst sich in seinem Lehrschreiben "Caritas in Veritate" (Liebe in Wahrheit) vor allem mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise für arme und reiche Staaten und mahnt zum Handeln: "Wir dürfen nicht Opfer sein, sondern müssen Gestalter werden, indem wir mit Vernunft vorgehen und uns von der Liebe und von der Wahrheit leiten lassen."

Neuverteilung durch Globalisierung

Die Globalisierung mache eine noch nie dagewesene Neuverteilung des Reichtums möglich. "Wenn diese Prozesse jedoch schlecht geführt werden, können sie hingegen zu einer Zunahme der Armut und der Ungleichheit führen sowie mit einer Krise die ganze Welt anstecken."

Die Überzeugung, Wirtschaft brauche Autonomie und dürfe keine moralische Beeinflussung zulassen, habe den Menschen dazu gedrängt, "das Werkzeug der Wirtschaft sogar auf zerstörerische Weise zu missbrauchen", schreibt das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. "Langfristig haben diese Überzeugungen zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systemen geführt, die die Freiheit der Person und der gesellschaftlichen Gruppen unterdrückt haben und genau aus diesem Grund nicht in der Lage waren, für die Gerechtigkeit zu sorgen, die sie versprochen hatten."

Benedikt mahnt die Regierungen, die nationalen Ökonomien stärker zu regulieren, um die Krise zu überwinden und ihre Wiederholung zu vermeiden. Auch eine Reform der Vereinten Nationen sowie der Wirtschafts- und Finanzgestaltung sei nötig, formuliert Benedikt in seinem Rundschreiben an die Kirche.

Politische Weltautorität vonnöten

Der Papst lehnt sich in seiner insgesamt dritten Enzyklika an Papst Johannes XXIII. an und fordert wie dieser eine politische Weltautorität. Sie sei dringend nötig, um die Weltwirtschaft zu steuern und zu sanieren, um vollständige Abrüstung zu verwirklichen, Umweltschutz zu gewährleisten und die Migrationsströme zu regulieren.

Benedikts Sozialenzyklika erhält besonderes Gewicht, weil sie nur einen Tag vor dem G8-Gipfel in Italien und drei Tage vor seinem Treffen mit US-Präsident Barack Obama veröffentlicht wurde. Auch beim Gipfeltreffen der acht führenden Industrienationen und Russlands ist die Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise das beherrschende Thema.

Reaktionen: "Sehr realistisches Dokument"

Kardinal Christoph Schönborn zeigte sich beeindruckt". Dem Papst gehe es um den "Mehr-Wert" des Zusammenlebens, der in das Transzendente verweise, sagte der Wiener Erzbischof. Die Enzyklika sei ein "sehr realistisches Dokument", sagte der Kardinal. Es gehe nicht um eine "utopische Vision einer anderen Welt", sondern um die Verbesserung der von der Globalisierung gekennzeichneten realen Situation der Wirtschaft im Zeichen eines besseren Miteinanders.

Michael Landau, Leiter der Caritas Wien, verwies auf die "wirtschaftliche Vernunft", die als vorrangiges Kapital den Menschen in den Mittelpunkt stelle. Landau verband die Präsentation des Dokuments mit konkreten Forderungen: "Wir appellieren, am Ziel der 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit festzuhalten, die Mittel in einem klaren Stufenplan wieder zu erhöhen, und das Budget der Austrian Development Agency in einem ersten Schritt zu verdoppeln."

Auch bei den deutschen Bischöfen stieß Benedikts Sozialenzyklika auf Zustimmung: "Nicht zuletzt der Zeitpunkt der Veröffentlichung - einen Tag vor Beginn des G-8-Gipfels in L'Aquila - macht die Dringlichkeit des Anliegens deutlich", erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Der Papst rufe nicht nur die Verantwortlichen der Industrienationen zum Handeln auf, sondern ermahne alle Menschen zum Umdenken.

(APA)

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