EU zu Medizinerquote: „Das ist ein heikles Thema“

(c) Michaela Bruckberger
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Bis Ende des Jahres entscheidet die EU über die Medizinerquote. Man suche nach langfristigen Lösungen, sagt EU-Kommissar Navracsics. Europas Unis gerieten ins Hintertreffen.

Die Presse: Das Moratorium für die Quote, die 75 Prozent der Medizinstudienplätze für Österreicher reserviert, läuft Ende 2016 aus. Haben Sie schon gute Nachrichten – oder muss Österreich an einer Notlösung arbeiten?

Tibor Navracsics: Die gute Nachricht ist, dass wir mit Österreich sehr gut zusammenarbeiten. Wir müssen die Entscheidung bis Ende des Jahres treffen.

Ein Moratorium ist aber immer nur ein Provisorium. Jetzt, da die Briten eine ganze Reihe von Ausnahmen von den EU-Regeln bekommen, könnte man doch überlegen, ob Österreich nicht beim Hochschulzugang Ausnahmen bekommen könnte.

Es ist kein ausschließlich österreichisches Problem, dass Studenten in einem EU-Land einen Hochschulabschluss machen und dann in ein anderes Land ziehen. Wenn wir die Qualität unserer Hochschulen erhalten wollen, müssen wir in jedem einzelnen Fall eine gute Lösung finden, die mit EU-Recht vereinbar ist.

Tatsächlich gibt es ähnliche Probleme zwischen Tschechien und der Slowakei sowie Frankreich und Belgien. Wie könnte eine europäische Lösung aussehen?

Das müssen wir uns genau ansehen. Es gibt eine ganze Reihe möglicher guter Lösungen. Wir werden die besten finden: gute langfristige Lösungen für die Mitgliedstaaten und deren Hochschulsysteme.

Wären etwa Kompensationszahlungen von Ländern, aus denen die Studierenden kommen, eine Option? In Österreich wurde darüber immer wieder gesprochen.

Es ist ein heikles Thema, weil die Hochschulsysteme unter das Prinzip der Subsidiarität fallen. Sie liegen in der Hand der einzelnen Mitgliedstaaten, die oft der Meinung sind, dass Inhalt, Struktur und bisweilen auch Studierende keine europäische Angelegenheit sind.

Wäre es nicht konsequenter, Bildung in einer europäischen Union gemeinschaftlich zu denken?

Dass Bildung unter das Prinzip der Subsidiarität fällt, ist Teil des EU-Vertrags und ich achte die fundamentalen Prinzipien meines Ressorts. Bildung ist Teil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten.

Unter diesen Bedingungen bewegt sich Ihr Job in sehr engen Grenzen. Frustriert Sie das nicht?

Ich definiere meinen Job am liebsten so: Ich bin der 29. Bildungsminister. Wenn ich gemeinsame Ziele identifizieren und Koalitionen aufbauen kann, kann ich erfolgreich sein. Wie nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ in Paris, als die europäischen Bildungsminister einen Prozess gestartet haben, der sich damit befasst, wie wir durch Bildung unsere gemeinsamen Grundwerte sowie die soziale Inklusion stärken können.

Bei der Hochschule hat man den Eindruck, dass Sie nicht einmal Ihre Meinung äußern, weil all das nicht in Ihrer Macht liegt.

Ja, aber ich kann die Mitgliedstaaten zusammenbringen, und sie ermutigen, eine Lösung zu finden.

Wie sehen Sie die Entwicklung des europäischen Hochschulsektors? Viele warnen, dass Universitäten in anderen Weltgegenden die europäischen überholen.

Ja, andere Länder investieren deutlich mehr Geld: Brasilien, Südafrika, China, Neuseeland. Das ist ein echtes Problem.

Gerät Europa ins Hintertreffen?

Definitiv. Wir müssen die Entscheidungsträger überzeugen, mehr Geld in Bildung zu stecken. Wichtig ist, dass das Geld effizient ausgegeben wird. Dass die Hochschulsysteme praktischer ausgerichtet sind und besser kompatibel mit dem Arbeitsmarkt. Und dass alle sozialen Gruppen Zugang zu höherer Bildung haben.

Was empfehlen Sie?

Wir drängen darauf, dass die Mitgliedstaaten auf soziale Inklusion achten. Wir wissen, dass das etwa in Zeiten der Budgetkonsolidierung schwierig ist. Aber das sollte als Zukunftsinvestition gesehen werden und nicht als Sozialausgabe.

Wie sehen Sie denn Österreichs Schulsystem aus einer europäischen Perspektive? Was fehlt?

Österreich steht ganz gut da, wenn es um frühe Schulabbrecher und um höhere Bildung geht. Und das duale Modell ist sehr erfolgreich. Es gibt aber Debatten über die frühe Trennung der Kinder.

Was denken Sie darüber?

Unserer Meinung nach ist eine Trennung der Kinder mit zehn Jahren ein bisschen früh. Aber viele in Österreich sind der Meinung, dass es eine gute Tradition ist. Wenn es gute Durchlässigkeit gibt, kann das auch eine Lösung sein.

Welche anderen Themen gibt es?

Unserer Meinung nach muss die Bildung flexibler sein. Die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts verändern sich ständig, auch das soziale Umfeld. Leider sind die europäischen Bildungssysteme zu formalisiert. Wir müssen viel mutiger die Chancen nutzen, die uns Digitalisierung und informelle Aktivitäten bieten.

ZUR PERSON

Tibor Navracsics (49) ist seit 2014 EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport. Der frühere ungarische Vizepremier gehört der rechtskonservativen Fidesz-Partei von Viktor Orbán an. Seine Nominierung war vom EU-Parlament zunächst abgelehnt worden. Letztlich wurde er doch akzeptiert, ihm wurden aber die Bürgerrechtsagenden entzogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2016)

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