Wien: Die Fallen der neuen Bauordnung

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Gesetzesänderung betrifft nicht nur wie propagiert Bauten für Flüchtlinge, dazu ist die Flächenwidmung nicht mehr zwingend. Ob das Gesetz verfassungsrechtlich hält, wird noch geklärt.

Wien. Ungewöhnliche Situationen bedürfen manchmal ungewöhnlicher Lösungen. Dass Wien vergangenes Jahr unerwartet um 43.200 Menschen angewachsen ist – was zu einem guten Teil der Flüchtlingskrise geschuldet ist –, kann wohl als Ausnahmesituation gewertet werden. Die Stadt benötigt dringend mehr Wohnraum und Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Darum erarbeitete die Wiener Stadtregierung jetzt in Windeseile eine Novellierung der Bauordnung, die künftig die Errichtung von temporären Unterbringungsmöglichkeiten erleichtern soll.

Schon im nächsten Landtag am 18. März soll die Novelle beschlossen werden. „Die Stadt will Menschen, die aufgrund von Kriegen oder Naturkatastrophen zu uns fliehen, rasch vorübergehend eine Unterkunft zur Verfügung stellen“, hieß es in einer Aussendung. Von der Opposition kommt Widerstand – und tatsächlich hat das Gesetz (zumindest) Unschärfen.

1 Die Novelle beschränkt sich nicht nur auf Flüchtlingsquartiere.

Beinahe alle Bundesländer haben schon Änderungen der Bauordnung vorgenommen, um die vielen benötigten Flüchtlingsquartiere schneller errichten zu können. Bis auf Oberösterreich definieren aber alle Länder, dass diese Ausnahmeregelungen nur für Flüchtlingsquartiere gelten sollen. Die Gesetze sind meist befristet. Ein derartiger Passus fehlt im Wiener Entwurf. „Soweit dies zur vorübergehenden Unterbringung einer größeren Anzahl von Personen auf Grund von bereits eingetretenen oder bevorstehenden Ereignissen [. . .] notwendig ist“, heißt es dort. Welche Ereignisse dies aber genau sein sollen, ist nicht definiert – so könnte etwa auch der massive Zuzug im Jahr 2015 als solch unvorhergesehenes Ereignis gewertet werden. „Das ist für die Stadt ein Freifahrtsschein, auch andere Bauten zu errichten“, sagt VP-Chef Gernot Blümel. Tatsächlich gab es seitens Rot-Grün in der Vergangenheit immer wieder Bestrebungen, noch nicht entwickelte Gebiete für temporäres Wohnen zu nutzen. Als Vorbild wird immer wieder ein aus Holzboxen gefertigtes Pop-up-Studentenheim in Aspern genannt. SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler sagt auf Nachfrage: „In erster Linie ist das Gesetz auf humanitäre Katastrophen ausgerichtet, aber auch sonst wollen wir schauen, brachliegende Gebiete in unserer Stadt besser zu nutzen.“

2 Flächenwidmung und Einsprüche können vernachlässigt werden.

Die Gesetzesnovelle unterscheidet drei Typen temporärer Bauten: jene, die für sechs Monate, fünf Jahre und 15 Jahre errichtet werden. Bei Typ-I-Bauten ist es Bürgern nicht möglich, Einsprüche mit aufschiebender Wirkung einzulegen. Für alle drei kann die Behörde von der Einhaltung von Regelungen der Bauordnung absehen – wie etwa ausführliche Brandschutzbestimmungen. Und genauso ist es möglich, Häuser auf nicht für Wohnzwecke gewidmeten Flächen zu errichten. „Theoretisch kann die Stadt so ein Hochhaus in den Volksgarten bauen – oder Gemeindebauten ins Naturschutzgebiet“, sagt VP-Gemeinderat Wolfgang Ulm. Weiters fürchtet er, dass temporäre Lösungen zu Dauerlösungen werden könnten: „Was ist, wenn die 15 Jahre abgelaufen und die Ausnahmeregelungen mehrfach verlängert werden?“, fragt er. Er befürchte, dass die SPÖ so ordentliche Bauverfahren umgehen möchte. „Ich kann die ÖVP beruhigen“, sagt Niedermühlbichler. Eine Verlängerung sei nicht möglich – darum komme die Regelung für sozialen Wohnbau auch nicht infrage. Würde man sich doch darauf einigen, ein Gebäude länger nutzen zu wollen, müsste das Bauverfahren nachgeholt werden. Dass Verlängerungen dezidiert ausgeschlossen sind, findet sich im Gesetzestext allerdings nicht.

3 Ob der Gleichheitsgrundsatz berücksichtigt wird, ist zu klären.

Die Ausnahmeregelungen sollen künftig nur für staatliche Gebäude gelten. Blümel sieht darin den verfassungsrechtlich festgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz verletzt. „Wir sind ja für eine Novelle der Bauordnung – aber eine, die ordentlich ausdefiniert ist und nicht nur der Stadt, sondern auch privaten Bauträgern und Eigentümern Rechte einräumt“, sagt Blümel.

Die VP will das neue Gesetz, falls es in der vorliegenden Fassung beschlossen wird, vor dem Verfassungsgerichtshof anfechten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2016)

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