Filmmuseum: Doch nicht das Ende des Kinos

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In Kuba und Amerika, mit Mao und den Rolling Stones: Jean-Luc Godard beschritt von 1968 bis 1986 abenteuerliche Pfade. Eine Retrospektive zeichnet sie nach.

Das Ende des Kinos verkündete Jean-Luc Godard 1967 als Schlusspunkt seines filmischen Verzweiflungsschreis „Weekend“. Viele nahmen diese fatalistische Deklaration als polemisches Säbelrasseln eines Provokateurs – doch auf seine Weise meinte es Godard wirklich ernst. Der „Außer Atem“-Regiepopstar und Nouvelle-Vague-Mitinitiator war am Zenit seines Erfolges, zuinnerst plagte ihn eine tiefe Unzufriedenheit: mit dem (bourgeoisen) Leben, mit der Gesellschaft, mit seinem eigenen Schaffen. Die politische Radikalisierung seiner Arbeiten war spätestens nach „La chinoise“ (1967) nicht mehr zu übersehen, nun wollte er seine Produktionspraxis einer Generalüberholung unterziehen, um seinen agitatorischen Ansprüchen zu genügen. Godards verschlungene Wege auf der Suche nach einem neuen Kino führten ihn an ungeahnte Orte, die Märzretrospektive des Filmmuseums zeichnet diesen abenteuerlichen Pfad nach.

„Wir müssen politische Filme machen“

Zunächst hatte Godard kein klares Ziel vor Augen. Er reiste (nach Kuba und Amerika), drehte einen Film mit den Rolling Stones („Sympathy for the Devil“, über die Entstehung des Songs) und ein minimalistisches Collage- und Dialog-Werk im Auftrag des französischen Fernsehens („Le Gai savoir“). Doch bald erfasste ihn wie viele andere der revolutionäre Geist des Pariser Mai und wies einen „maoistischen“ Weg: Zusammen mit dem Journalisten Jean-Pierre Gorin und anderen Gleichgesinnten gründete er die Groupe Dziga Vertov – benannt nach dem russischen Avantgardisten – und übte sich in Kinorevolution. Im Manifest „Que faire?“ („Was tun?“, 1970) schrieb er typisch dialektisch: „1. Wir müssen politische Filme machen. 2. Wir müssen politisch Filme machen. 3. 1 und 2 verhalten sich antagonistisch zueinander und gehören zu zwei entgegengesetzten Konzeptionen der Welt.“ Punkt eins bedeutete Linientreue, Punkt zwei eine radikale Absage an traditionelle Erzählkunst – entsprechend komplexe Gebilde sind die fünf Filme der Gruppe, angesiedelt im Spannungsfeld zwischen Pamphlet, Theoriekurs, linkem Dogmatismus und freiem Bild-Ton-Experiment. Die ideologische Verhärtung Godards isolierte ihn zusehends von der Industrie und alten Freunden. Am bekanntesten ist der Bruch mit François Truffaut, der seinem ehemaligen Kritikerkollegen Arroganz und Heuchelei vorwarf – symptomatisch für das Ende eines Nouvelle-Vague-Kapitels.

Die Zusammenarbeit zwischen Gorin und Godard kulminierte im brechtianischen Streik-Stück „Tout va bien“ (1972) und dessen Komplementärfilm „Letter to Jane“, der rigorosen ideologiekritischen Analyse eines Vietnam-Fotoporträts von „Tout va bien“-Star Jane Fonda. Doch das Feuer von 1968 war nur noch eine Sparflamme, und die einstigen Revoluzzer wandten sich separaten Projekten zu. Godard begann sich für Videotechnologie zu interessieren und gründete mit seiner neuen Partnerin Anne-Marie Miéville die Produktionsfirma Sonimage – das Ziel war Unabhängigkeit und Effizienz in der Herstellung audiovisueller Kunst. Seine experimentellen Arbeiten in den Siebzigern (zu denen auch Fernsehserien gehören, die leider nicht Teil der Schau sind) nutzten Videotechnik als philosophisches Forschungsinstrument und legten den Grundstein für das essayistische Hauptwerk „Histoire(s) du cinéma“ – zu sehen in der nächsten Godard-Retro des Filmmuseums im Frühjahr 2017.

„Man muss den Bildern zuhören“

Doch bevor er sich diesem widmete, kehrte Godard 1980 mit „Sauve qui peut (la vie)“ ins Kino (und ins mediale Rampenlicht) zurück, indem er sich als narrativer Kunstfilmer neu erfand. Die Früchte dieser autobiografisch angehauchten Schaffensperiode („Passion“, „Prénom Carmen“, der kontroverse „Je vous salue, Marie“) gehören zu seinen schönsten Werken. Es sind Exempel einer neuartigen Poetik des Films, die Intuition und Assoziation zu gestalterischen Grundprinzipien erklärt, die mit ihrem Material umgeht wie ein Maler mit seinen Farben. „Man muss den Bildern zuhören und die Töne anschauen“, erzählte Godard 1980 einem verdutzten Dick Cavett in dessen Talkshow.

Indessen hatte parallel zu Godards wendungsreicher Entwicklung eine neue Regie-Generation das französische Post-68er-Kino geprägt, deren Filme sich vor allem durch schmerzliche Illusionslosigkeit auszeichneten: „La Maman et la putain“ von Jean Eustache ist als Dreiecksbeziehungsgeschichte ein Mammutwerk emotionaler Orientierungslosigkeit, während Maurice Pialat (der für Godard wenig übrig hatte) den Zuschauer mit seinen gnadenlos naturalistischen Daseinsstudien wiederholt vor vollendete, niederschmetternde Tatsachen stellte. Hierzulande nahezu völlig unbekannt ist indes das filmische Schaffen des Schauspielers Gérard Blain: Der Bresson-Verehrer zeichnete unsentimentale, kühl-melancholische, täuschend schlichte Porträts von Freundschaft („Les Amis“) und Kindheit („Un enfant dans la foule“), die einer Neuentdeckung harren.

„Jean-Luc Godard. Die zweite Welle“ und die Filme von Blain, Eustache und Pialat sind noch bis 6. April im Österreichischen Filmmuseum zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2016)

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