Benjamin von Stuckrad-Barre: Aufstieg und Fall des Popliteraten

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Benjamin von Stuckrad-Barre legt mit „Panikherz“ eine Autobiografie vor. Oder eine Ode an Udo Lindenberg. Oder eine ungefilterte Drogenbeichte. Man darf es sich aussuchen.

Er bettelt förmlich um den Totalverriss. „Die einfachste Rezensionsform war, das lernte ich schnell: voll auf den Künstler drauf, so unsachlich wie möglich, am besten humorvoll, unbedingt böse.“ So schreibt es Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem soeben erschienenen Roman „Panikherz“. Der deutsche Autor Maxim Biller hat ihn beim Wort genommen. Im „Literarischen Quartett“ zerriss er „Panikherz“ mit Furor und nannte es „ein unerträgliches Buch“. Die gebürtige Wienerin Eva Menasse hielt dagegen, sie fand es „herzanrührend“.

Zwischen unerträglich und herzanrührend liegen Welten, aber beide Beschreibungen treffen nicht. Das Buch ist schlicht komisch, im guten wie im schlechten Sinn. Zunächst einmal, weil hier ein 40-Jähriger einen Roman schreibt, der offenkundig eine Autobiografie sein soll. Der Mann, der 1999 jüngstes Mitglied des popliterarischen Quintetts in „Tristesse Royale“ war (neben Joachim Bessing, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Christian Kracht), erzählt von seiner Kindheit in einer kinderreichen Pastorenfamilie, von ersten Stationen im Journalismus bei der „Taz“ und beim „Rolling Stone“, dem Erfolg mit seinem ersten Roman „Soloalbum“, seiner Zeit als Autor für die "Harald Schmidt Show", seiner Drogensucht und seiner Bulimie. Wie ein roter Faden ziehen sich Zeilen von Udo Lindenbergs Liedern durch das Buch, den der Auto fast göttlich verehrt. 1987, mit 13, entdeckte er den Sänger, Anfang 20 traf er ihn das erste Mal für ein Interview im Hotel Atlantic in Hamburg und verriss ihn sogar später: „Udo redete im Autopilot vor sich hin, gefangen in seiner eigenen Kunstsprache, und ich in der Rolle des Jungprovokateurs, absolut lächerlich; unsere einzige Gemeinsamkeit: Wir waren beide nicht in Bestform.“ Diese leisen Anflüge von Selbstironie, die manchmal in Selbsthass umschlagen, sind Stuckrad-Barres Markenzeichen, sie machen sein neuestes, mit 564 Seiten dickstes Werk überhaupt erst lesbar.

Mit Udo Lindenberg, der ihn liebevoll „Stuckimann“ nennt, ist er längst eng befreundet. Die beiden verbrachten viel Zeit in Hotels miteinander, halfen sich aus ihren jeweiligen Krisen und teilten den Arzt. Der Romantitel ist eine Anspielung auf Lindenbergs Panikorchester. Lindenberg war es auch, der Stuckrad-Barre 2013 erstmals nach Los Angeles brachte, wo er eine Zeit lang im Hotel Chateau Marmont wohnte und weite Teile des Romans spielen. Doch komisch, im Sinn von befremdlich, bleibt, wie sehr Stuckrad-Barre trotz der vielen Dinge, die er erlebt und gesehen hat, immer noch so sehr die Zuwendung von Prominenten sucht. (Die große Zuneigung zu Udo Lindenberg bleibt allen Nicht-Fans vermutlich ohnehin ein Rätsel.) Er hängt an den Lippen derjenigen, die er für die Großen hält. Er geht mit Thomas Gottschalk auf ein Konzert und bewundert ihn für seine Lockerheit und seine immer noch blonden Haare (wenn das ironisch sein soll, sind die Stellen dafür zu lang). Er begegnet zufällig Kurt Cobains Witwe Courtney Love und ist entzückt. Und mit seinem großen Vorbild Helmut Dietl schreibt er das Drehbuch für dessen letzten Film „Zettl“.

Die Schönheit der „Weltmalaise“

Aber Stuckrad-Barre kann mit Sprache umgehen. Nicht in einem literarischen, sondern in einem spielerischen Sinn. Er zieht Worte zusammen, erfindet neue, mischt Englisch und Deutsch; manche mögen das schlampig nennen, andere freuen sich an Kreationen wie „Weltmalaise“ oder „Bessergestelltenlifestyle“. Doch auch hier wird es wieder komisch, also lächerlich: Stuckrad-Barre ist besessen davon, Wörter in Versalien zu schreiben, um sie hervorzuheben. WIESO MUSS DAS SO OFT SEIN?

Die stärksten Szenen in dem Buch sind die Schilderungen seiner Drogen- und Esssucht, die er seit einigen Jahren im Griff hat. Trotzdem wirkt das Buch an vielen Stellen fahrig, dazwischen langatmig. Einige Kapitel blitzen besonders hervor, wirken wie abgeschlossene Essays, die so auch in der „Welt“ stehen könnten, für die Stuckrad-Barre heute schreibt. (z.B. das über Maturafeiern: "Facebook ist Klassentreffen in Permanenz.")

Letztlich zeigt uns „Panikherz“ die gewollt ungefilterte, teils abenteuersüchtige, teils naive Seite eines Autors, der sehr früh hinaus und hinauf wollte und wie viele seiner Helden fallen musste. Die Frage bleibt, was einer wie er – nüchtern und vernünftig, wie er heute ist – in den kommenden 40 Jahren macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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