Südtirol: Carabinieri unter Verdacht

(c) Reuters (Alessandro Bianchi)
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Die Justiz ermittelt wegen einer Prügelaffäre gegen Jugendliche und antideutscher Ausfälle. Waren das Ausrutscher oder steckt dahinter ein System?

Bozen/Meran. Die Carabinieri, die während des „Rock the Lahn“-Festivals Anfang Juni in Obermais bei Meran Dienst versahen, waren nicht zu beneiden: Personenkontrollen bei Jugendlichen; manche waren angetrunkenen. Ein junger Mann, der unter Hausarrest stand, lief vor den Beamten davon – sie verfolgten und überwältigten ihn. Umstehende forderten ein weniger brutales Vorgehen; in der Folge entwickelte sich eine Prügelei zwischen den Ordnungshütern und den Jugendlichen.

Laut dem Südtiroler Landtagsabgeordneten Sven Knoll von der Fraktion „Süd-Tiroler Freiheit“, der bei einer Pressekonferenz in Bozen Zeugenberichte, Fotos und ein Tondokument als Beweise vorlegte, seien an die Beamten gerichtete Aufforderungen, Deutsch zu sprechen, durch Schlägen mit Gummiknüppeln quittiert worden. Einige Jugendliche wurden verhaftet und in eine Carabinieri-Kaserne gebracht. Was sich dort abgespielt haben soll, bildet den Kernpunkt der Vorwürfe: Einem jungen Mann sei durch Schläge ins Gesicht die Nase gebrochen worden. Seinem Bruder – schon zuvor krankenhausreif geschlagen – hätte man ebenfalls einen Nasenbeinbruch „verpasst“, und zwar mit dem Kommentar: „Was willst du deutsches Schwein überhaupt? Wir müssen auch dir die Nase brechen, damit du deinem Bruder wieder gleichst.“ Als der junge Mann vor Schmerzen gekrümmt zu Boden gestürzt sei, hätten mehrere Carabinieri auf ihn eingetreten.

Einem anderen Jugendlichen, der auch verprügelt worden war, hätte man mit den Worten die Pistole an die Schläfe gehalten: „Es wäre besser, wenn wir dich abknallen würden, denn mit euch deutschen Schweinen haben wir ohnehin nur Probleme.“ Ein junger Mann habe die Vorfälle mit seinem Mobiltelefon aufgenommen.

Es ginge nicht darum, die Carabinieri als militärische Organisation an sich oder gar italienischsprachige Carabinieri in Südtirol in ein schlechtes Licht zu rücken, betonte der Abgeordnete Knoll bei der Pressekonferenz. Aber: „Solche Vorfälle dürfen in Europa im Jahr 2009 nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Hier geht es um eklatante Menschenrechtsverletzungen. Das muss einfach aufgeklärt werden.“

Eltern unter Druck gesetzt

Indes, der Weg zu einer Aufdeckung der Vorkommnisse in der Meraner Kaserne scheint schwierig. So berichtete der Abgeordnete, dass Eltern der betroffenen Jugendlichen eingeschüchtert worden seien, damit sie von einer Anzeige gegen die Carabinieri absehen.

Trotzdem hat sich mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet: Zunächst nahm sie Ermittlungen gegen Sven Knoll wegen des Tatbestandes der üblen Nachrede gegen die Carabinieri auf. Einige Tage später begann man auch gegen die Beamten wegen der Misshandlungsvorwürfe zu ermitteln. Detail am Rande: Neuer leitender Staatsanwalt des Landesgerichts Bozen wird Guido Rispoli – die Bestätigung des Vorschlages durch den Obersten Richterrat ist nur mehr Formsache. Er ist der Bruder des Carabinieri-Kommandanten von Südtirol, Andrea Rispoli. Die Südtiroler Öffentlichkeit wartet gespannt auf die Ermittlungsergebnisse; für die Carabinieri (und Sven Knoll) gilt die Unschuldsvermutung.

Einzelfälle der Carabinieri?

Falls sich die Anschuldigungen als wahr erweisen sollten: Handelt es sich um Einzelfälle, sozusagen um „Ausrutscher“ der italienischen Ordnungskräfte in Südtirol? Zeugenberichte der vergangenen Jahre sprechen eine andere Sprache. Ein Beispiel: Als der Mediensprecher des Südtiroler Schützenbundes, Efrem Oberlechner, in eine Fahrzeugkontrolle der Carabinieri geriet, forderte er den Beamten auf, Deutsch mit ihm zu sprechen. Die Antwort: „Wenn du Deutsch reden willst, geh' doch nach Österreich!“

Laut Autonomiestatut 1972 und Durchführungsbestimmungen des Jahres 1988 ist es das Recht jedes Südtirolers, dass bei Amtshandlungen Deutsch mit ihm gesprochen wird. Allerdings sind in den Bestimmungen keine Sanktionen vorgesehen, und so verlaufen viele Beschwerden im Sande. Die Süd-Tiroler Freiheit ist eine politische Bewegung, die sich für die Loslösung Südtirols von Italien durch Volksabstimmung einsetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2009)

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