Italien geht der gute Stoff aus

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Symbolbild.(c) Bloomberg (SeongJoon Cho)
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In der norditalienischen Provinz Prato hadert Europas größte Textilindustrie noch immer mit der Globalisierung. Längst stellen hier vor allem Chinesen Kleidung "made in Italy" her. Mit billigen Stoffen und Arbeitern aus Asien.

Der Himmel hängt grau über Prato, und das Gewerbegelände Macrolotto 1 am Rande der Stadt erscheint besonders trist. Hunderte Fabrikhallen reihen sich hier Seite an Seite. Über den Eingängen liest man die Firmennamen: Sara Confezioni, Arcobaleno und gleich darunter chinesische Schriftzeichen. Wirft man einen Blick durch die offenen Tore, sieht man Arbeiter, die sich an den vollbehängten Kleiderständern zu schaffen machen oder Lieferungen vorbereiten. Es sind ausschließlich Chinesen. Sowie die Arbeiter im nahegelegenen Macrolotto 0, wo täglich eine Million Bekleidungsstücke hergestellt werden: Pronta Moda, made in Italy. „Das Macrolotto 1 ist das größte Einkaufszentrum europaweit“, erklärt Lamberto Gestri, ehemaliger Präsident der Provinz Prato. Die Kundschaft kommt von überall, vorwiegend aber aus Nord- und Osteuropa. „Hier bekommt man ,100 Prozent made in Italy‘ zu einem Spottpreis. Wobei das mit dem 100-prozentig nicht ganz stimmt“, fügt Gestri hinzu.

Pratos Ruhm beruht seit eh und je auf der Textilwirtschaft: Hier werden nicht nur die besten Stoffe hergestellt, sondern auch die größten Mengen in Europa. 2014 erwirtschafteten die hiesigen Textilunternehmen 2,728 Milliarden Euro und exportierten weltweit für einen Gesamtwert von 1,622 Milliarden Euro. Die Chinesen kaufen aber nicht bei den italienischen Nachbarn. Sie importieren die Stoffe aus China. „Seit Jahren versuchen wir uns deswegen in Brüssel Gehör zu verschaffen“, sagt Gestri, „leider erfolglos. Wer will schon auf Jeans ,made in Italy‘ zu sieben Euro das Stück verzichten. Und es sind in erster Linie die Nordeuropäer, die sich taubstellen.“ Sieben Euro eine Jeans, ein Preis, der zumindest in Europa stutzig machen müsste. Denn wer sich damit über Wasser hält, der muss gezwungenermaßen woanders gehörig sparen.

Ein Euro Stundenlohn. Unter welchen Bedingungen in manch einer der chinesischen Konfektionsfabriken gearbeitet wird, erfuhr man 2013. Damals entfachte sich in der Nacht vom 1. zum 2. Dezember in einer von Chinesen geführten Fabrikhalle im Macrolotto 0 ein Brand, bei dem sieben Arbeiter ums Leben kamen. Als sich die Feuerwehrmänner den Weg durch die Flammen bahnten, entdeckten sie hinter Gipskartonwänden ein Schlaflager. Die Tragödie und die aufgedeckten Arbeitsbedingungen machten weltweit Schlagzeilen. Hunderte von Chinesen würden in den Fabrikhallen um Prato illegal und zu einem Hungerlohn von manchmal sogar nur einem Euro die Stunde arbeiten und leben, hieß es.

In Prato war das ein offenes Geheimnis, doch erst nach dieser Tragödie wurden gezielte Maßnahmen ergriffen. Die Region Toskana startete das Programm „Pakt sichere Arbeit“. „Wer daran teilnimmt, hat sechs Monate Zeit, seinen Betrieb den geltenden Sicherheits- und Arbeitsnormen anzupassen“, erklärt Claudio Bettazzi, Vorsitzender des Gewerbeverbandes CNA Prato. „Und mittlerweile können wir auch erste Erfolge vorweisen. Schwarzarbeit gibt es noch immer, aber zahlreiche Chinesen haben die Chance auch wahrgenommen.“ Laut einer aktuellen Studie stellen chinesische Firmen auch zunehmend italienische Fachkräfte ein: vorwiegend in der Buchhaltung und im kreativen Bereich. Die Distanz zwischen den einheimischen Textilherstellern und den chinesischen Pronto-Moda-Unternehmern in Prato bleibt aber weiter bestehen. So sind von den 4023 Bekleidungsunternehmen 3.424 in chinesischem Besitz, während von den 2206 Textilfabriken 1853 italienische Eigentümer haben.

„Als die Chinesen kurz vor der Jahrhundertwende hier ankamen, waren die Zeiten der großen Aufträge und der steigenden Umsätze längst vorbei“, bemerkt Bettazzi. Am Anfang arbeiteten sie noch für die Italiener, hatten aber bald anderes im Sinn. „Die Bekleidungssparte war hier eher dürftig vertreten. Die Einheimischen dachten sich, warum Diversifizieren, wenn man mit Textilien sowieso genug verdient. Dass sich die Zeiten wandeln könnten, darüber machten sich die wenigsten Gedanken, obwohl die Globalisierung schon im Anmarsch war.“ Die Chinesen waren weitsichtiger, und als ein Textilunternehmen nach dem anderen schließen musste, mieteten sie leerstehende Werkhallen. Der große Schub kam 2001 mit dem Eintritt der Volksrepublik in die WTO. Jetzt konnte man die Textilien günstig aus China einführen, sie hier verarbeiten und das Label „made in Italy“ auftragen.

Konzerne drücken Preise. Seit der Jahrhundertwende haben 50 Prozent der Textilbetriebe um Prato geschlossen. Ein harter Schlag, aber irgendwie auch hausgemacht. Statt sich für den globalen Wettbewerb zu rüsten, zogen viele Einheimische es vor, die Hallen zu vermieten. „Immerhin kann man 50 bis 60 Euro pro Quadratmeter verlangen“ sagt Gestri. Individualismus und Kreativität zeichnen Italien aus, die Mühen, die der Fortschritt abverlangt, jedoch nicht unbedingt. Heute würde es ohne Chinesen auch nicht mehr gehen. „Natürlich würde die Wirtschaft in Prato kollabieren, sollten die Chinesen auf die Idee kommen, wegzuziehen“, sagt Gestri. Leben doch fast 17.000 Chinesen in Prato (acht Prozent der Gesamtbevölkerung), die elf Prozent des BIP erwirtschaften.

Stoffe werden hier schon seit dem Mittelalter hergestellt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Unternehmen immer kleiner, die unterschiedlichen Produktionsphasen sukzessive an Terzisti, Auftragnehmer, ausgelagert. Ein Modell, das, in der Globalisierung, zu Italiens Paradigma wurde. Industriekonglomerate gibt es kaum noch.
Alberto Magellis Textilunternehmen La Torre ist nicht gleich zu finden. Der Eingang befindet sich nämlich hinter einer großen chinesischen Werkhalle. Magrelli beschäftigt zehn Leute und macht einen Jahresumsatz von ungefähr sechs bis sieben Millionen Euro. Die Produktion, Spinnerei, Weberei, Ausrüstung machen Terzisti. Im Hauptquartier kümmert man sich um den Entwurf der neuen Stoffkollektionen und stellt die Muster zusammen.

„Früher hatten wir eine interne Weberei und Ausrüstungssparte. Durch die saisonbedingten Schwankungen bei den Aufträgen können sich das aber die meisten nicht mehr leisten.“ 90 Prozent der Textilbetriebe um Prato gleichen dem Betriebsmodell von La Torre. Magelli macht mit den Chinesen keine Geschäfte, es sind aber auch nicht sie, sagt er, die ihm das Leben schwer machen. „Das Problem ist, dass große Marken, nehmen wir Zara, unsere Qualität wollen, aber zu ihren Preisbedingungen. Manchmal würden ein, zwei Euro mehr für ein Meter genügen, um zu investieren. Aber statt geschlossen Preisdumping zu verweigern, findet sich immer jemand, der zusagt. Oder der Kunde geht in die Türkei oder nach China.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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