Neugierige Musikfreunde reisen diese Woche nach Langenlois

Ein Befreiungsschlag fürs Moderne passierte, als Simon Rattle, noch kein Sir, Heinz Karl Grubers "Frankenstein!!!" dirigierte. Das war 1978.

Heinz Karl („Nali“) Gruber ist einer jener Komponisten, die schon in der Hochzeit der aggressivsten Avantgarde nicht an die Allmacht der Dissonanz geglaubt haben. Ab kommendem Wochenende steht sein Schaffen im Mittelpunkt des Festivals Loisiarte (ab 17. März).

Eine kleine Retrospektive, die man nicht versäumen sollte, wenn man sich für die seltsamen Umwege interessiert, die sich die Musikgeschichte einzuschlagen gezwungen sah.

Es ist schon so: Die Doktrin, die Arnold Schönberg anlässlich der Proklamation der Herrschaft der „nur aufeinander bezogenen“ zwölf Töne ausgegeben hat, machte zwei Generationen von Komponisten und drei Generationen von Musikwissenschaftlern und Analytikern irre.

„Konsonanzen nur auf schlechten Taktteilen“, scherzte Alban Berg in Umkehrung des alten strengen Kontrapunkt-Lehrsatzes. Die schlechten Plätze waren von den Altvorderen natürlich den Missklängen zugewiesen worden. Das sollte sich nun ändern.

Dass Berg selbst in seinen Zwölftonwerken Schönbergs Doktrin bewusst zuwiderhandelte (sein Violinkonzert schließt in lupenreinem B-Dur), dass der Erfinder der Methode selbst in seinem Spätwerk zurückruderte, änderte nichts an der prekären Situation, in der sich jüngere Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden. Wer einen Dur-Dreiklang auch nur ahnen ließ, bekam vernichtende Kritiken und wurde auf diversen Ferienkursen und Festivals ausgepfiffen.

Jedenfalls war es ein Befreiungsschlag, als Simon Rattle, damals noch nicht Sir, aber einer der interessantesten Vertreter der aufstrebenden Dirigentengeneration, 1978 Nali Grubers musikalisches Pandämonium „Frankenstein!!!“ präsentierte. Plötzlich waren sogar Popanklänge und Kinderlieder wieder konzertpodiumstauglich – und vermochten wider Erwarten sogar eine alles andere als konservative ästhetische (und politische) Botschaft zu vermitteln.

Die Bedeutung dieses Ereignisses ist zunächst kaum erkannt worden. Doch der Stachel saß im Fleisch. Bald etablierte sich die sogenannte Postmoderne und sogar schlichte gregorianische Melodien wurden für die Avantgarde wieder salonfähig. Wie man angesichts einer großen Tradition Musik machen kann, die wirklich „neu“ ist, ohne in zwanghafte Kakofonien verfallen zu müssen, hat Gruber über die Jahrzehnte hin auch nach „Frankenstein!!!“ demonstriert.

Dass seine Werke in Langenlois nun neben ähnlich originellen, wirklich neuen, aber höchst publikumswirksamen Kompositionen wie Strawinskys „Sacre du printemps“ oder Ravels „Chansons madécasses“ sowie den in ihrer Eigenwilligkeit den Gruber'schen Stücken durchaus ebenbürtigen „Sequenzen“ von Luciano Berio stehen, sich mit Literatur und bildender Kunst zum besonderen Kulturerlebnis verschwistern, ist nur folgerichtig. Das 21. Jahrhundert sollte ja ein ganz und gar offenes, aufgeschlossenes werden; hatten wir uns das nicht vorgenommen?

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2016)

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