Staatsoper: Legris lässt die Piraten tanzen

Der Korsar und das Mädchen: Robert Gabdullin (Conrad) und Maria Yakovleva (Médora).
Der Korsar und das Mädchen: Robert Gabdullin (Conrad) und Maria Yakovleva (Médora).(c) Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
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In „Le Corsaire“ glänzen die Sterne der Compagnie. Elegante Solisten, schwungvolle Tänze und lebendige Bilder: ein Ballett wie ein Tableau vivant.

Wenn sich der Vorhang zum ersten großen Ballett hebt, das Wiens Ballettdirektor Manuel Legris choreografiert hat, bietet sich dem Zuschauer ein beeindruckendes Bild: Auf einem Vorhang schäumen die Wellen bedrohlich hoch, während die Ouvertüre eine Vorahnung hochkommen lässt, dass es hier bald um Leben und Tod – und natürlich um zwei einander verfallene Liebende – gehen wird. Weiter hinten schaukelt ein Schiff durch die Gischt – die Korsaren nähern sich dem Festland und haben alle Hände voll zu tun, bloß nicht zu kentern. Das Bühnenbild und die Kostüme von Luisa Spinatelli wirken nicht nur in diesem Moment, als hätte Spinatelli ein Ölgemälde als farbenprächtiges Tableau vivant in Szene gesetzt – später wird sich dieser Eindruck auf dem belebten Basar mit seinen verschleierten Frauen, bunten Marktständen und emsigen Teppichhändlern verstärken. Es ist eine lebendige Szenerie, die schon für sich einen Teil dieser ebenso empörenden wie letztlich herzerwärmenden Geschichte erzählt.

Legris hat sein Versprechen wahr gemacht: Seine Version von „Le Corsaire“ kann man auch verstehen, ohne das Programmheft zu studieren. Wenn man sich nicht völlig von den hervorragenden tänzerischen Leistungen blenden lässt (was zugegebenermaßen fast unmöglich ist), dann erlebt man eine haarsträubende Erzählung: Ein Sklavenhändler jagt die schönsten Mädchen – und bietet sie u. a. dem reichen Pascha zum Kauf an, der damit seinen Harem bestückt. Flucht vor dem Männer-Mob ist unmöglich – an jeder Ecke lauert ein vermummter Häscher, was im Pausenfoyer Assoziationen mit aktuellen Ereignissen laut werden ließ.

Ein Hauch „Fluch der Karibik“

Das große Liebespaar der Handlung ist eigentlich völlig undenkbar: Korsar Conrad raubt mit seinen Freibeutern Schiffe aus und schreckt im Kampf nicht davor zurück, die Waffe zu gebrauchen. Seine Angebetete – Médora – ist ein unschuldiges Ding „aus dem verfeindeten Nachbardorf“, wie es heißt, und wird, nachdem sie dem Sklavenhändler über den Weg gelaufen ist, auf dem Basar wie ein Stück Ware feilgeboten. Sie hätte also allen Grund, den Männern, die ihr hier über den Weg laufen, zu misstrauen. Trotzdem verliebt sie sich auf den ersten Blick unsterblich in Conrad, der im Grunde ein gutherziger Kerl ist, den ihre Eltern aber ganz bestimmt nicht für sie ausgesucht hätten. Da weht ein verklärter Hauch von „Fluch der Karibik“ durch die Staatsoper.

Robert Gabdullin ist mit dem roten Tuch am Kopf als Pirat zwar passend gekleidet, im Habitus aber nicht so grimmig, wie man es von seinem Stand erwarten würde. Er ist keineswegs das Raubein, das er als Chef seiner wilden Gefolgschaft sein sollte, da hilft auch die forcierte Gestik nicht, mit der er eine gewisse Derbheit zum Ausdruck bringen will. Wenn es darum geht, seine feurige Liebe zu zeigen, springt und federt Gabdullin geschmeidig über die Bühne und wirft sich mit elegantem Schwung auf die Knie, wie ein galanter Edelmann, der einer Dame den Hof macht. Das sind die blendenden Momente, in denen die Handlung in den Hintergrund tritt, man sich nicht darum kümmert, ob die Figuren hier nicht zu lieblich angelegt sind. Man hat nur noch Augen für die Tänzer und den Tanz. Dafür sorgt auch die hervorragende Maria Yakovleva in der Rolle der Médora. Sie ist als Ballerina am Höhepunkt ihres Könnens, bewegt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit, weiß ihre Mimik geschickt einzusetzen – und dreht Piqué-Pirouetten in halsbrecherischem Tempo. Nicht minder beeindruckend sind Technik und Ausdruckskraft von Liudmila Konovalova in der Rolle von Médoras Freundin Gulnare.

Noch nie war „Le Corsaire“ zur Gänze an der Wiener Staatsoper zu sehen. Legris hat seine – an Marius Petipa orientierte – Choreografie den Tänzern seiner Compagnie auf den Leib geschneidert. Kirill Kourlaev ist ein Muskelprotz von einem Sklavenhändler – rau und unerbittlich. Alice Firenze und der tänzerisch herausragende Davide Dato geben ein schwungvolles Liebespaar ab. Natascha Mair, Nina Tonoli und Prisca Zeisel brillieren als Odalisken. Und in der Traumsequenz des „jardin animé“ findet auch der Nachwuchs eine Chance zu glänzen.

Das von Valery Ovsianikov geführte Orchester trägt die Tänzer durch dieses musikalisch wie tänzerisch schwierige Stück. Legris verwendet Musik von Adolphe Adam, Leo Delibes und Cesare Pugni – und setzte auch die teils krassen Tempowechsel und die rasend schnellen Takte gekonnt um. Seine erste abendfüllende Choreografie ist kurzweilig, schwungvoll – und trotz aller Dramatik positiv und lebensfroh. Das vertrieb auch die letzten dunklen Gedanken aus dem Publikum – dieses dankte mit tosendem Applaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2016)

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