Als Außenseiter meisterte Österreichs Gegner Albanien die EM-Qualifikation. Eine Generation von Flüchtlingskindern führte den Aufschwung herbei, die Truppe vom Westbalkan weist außerdem Parallelen zum ÖFB-Team auf.
Wien. Sechs Spiele, sechs Niederlagen, nur ein Tor und 17 Gegentreffer – die Statistik räumt Albanien gegen Österreich kaum Chancen ein. Doch die Duelle fanden allesamt in den 1980er-Jahren statt, als Albaniens Nationalteam noch ein verlässlicher Punktelieferant war. Die erfolgreiche EM-Qualifikation beschert Österreichs heutigem Testspielgegner nicht nur die erste Teilnahme an einer Endrunde, auch die Zeit als europäischer Prügelknabe ging damit zu Ende. Die Kombetarja ist im Drei-Millionen-Einwohner-Land mittlerweile der Stolz der Nation.
Die besten Albaner spielen aber nicht auf dem Westbalkan, sondern in Italien, Deutschland, Frankreich und der Schweiz, wo der albanische Verband sogar einen Scout beschäftigt. Es sind die Kinder der albanischen Diaspora, die das Rückgrat der Nationalmannschaft bilden. Mit ihren Eltern sind sie vor dem Chaos in der Heimat geflüchtet und so in Ländern mit professionellen Fußballstrukturen zu Profis gereift. Mitunter haben sie mazedonische oder kosovarische Wurzeln wie Kapitän Lorik Cana (FC Nantes), der als Kind in die Schweiz geflohen ist. Taulant Xhaka (FC Basel) ist bereits in der Alpenrepublik geboren, hat sich aber im Gegensatz zu Bruder Granit (Mönchengladbach) gegen die eidgenössische Auswahl entschieden. Bei der EM trifft Albanien (neben Frankreich und Rumänien) auf die Schweiz, es kommt also zum Bruderduell,
„Viele Teamspieler sind im Ausland ausgebildet worden“, erzählt Roland Gercaliu, „außerdem werden die Akademien im Land immer besser.“ Der in Tirana geborene Ex-ÖFB-Verteidiger hat im Alter von 17 Jahren das Angebot, für Albanien aufzulaufen, abgelehnt. Er spielte unter anderem bei Salzburg, Austria und Ingolstadt, derzeit ist der 30-Jährige bei Tabellenführer KF Tirana unter Vertrag.
Ähnlich wie das ÖFB-Team hat die albanische Mannschaft in den vergangenen Jahren dank hoher Legionärsdichte einen rasanten Aufschwung hinter sich. Trotz der Parallelen sieht Gercaliu die Koller-Elf um eine Klasse besser. „Albanien hat zwar auch viele Legionäre, aber nicht alle spielen regelmäßig.“ Die Österreicher hingegen „kommen bei ihren Klubs praktisch immer zum Einsatz“. Dennoch: Albanien überzeugte in der EM-Qualifikation vor allem mit Auswärtsstärke, löste als Gruppenzweiter hinter Portugal, aber vor Dänemark und Serbien das Ticket für die Endrunde. Sensationell wurde Portugal in Aveiro 1:0 besiegt, auch in den folgenden drei Auswärtsspielen blieb man ohne Gegentor – darunter in der skandalträchtigen Partie in Belgrad, als eine Drohne mit der Flagge von Großalbanien einen Platzsturm der serbischen Fans provozierte. Der Höhenflug manifestiert sich auch in der Weltrangliste: Das bisherige Allzeithoch wurde mit Platz 22 im August des Vorjahres erreicht, derzeit ist Albanien 35.
Italienischer Nationalheld
Teamchef Giovanni de Biasi, seit 2011 im Amt, wurde nach der erfolgreichen EM-Qualifikation gar der Orden Nderi i Kombit, die höchste albanische Auszeichnung, verliehen. „Er ist ein Nationalheld, hat einen sehr großen Anteil am Erfolg und die Mannschaft kompakter gemacht. Es ist nicht mehr so, dass man Albanien leicht schlägt – die Gegner haben Respekt bekommen“, meint Gercaliu. Wenig überraschend baut der italienische Coach (Stationen: Modena, Brescia, Torino, Levante und Udinese) auf eine solide Defensive.
Die albanische Abwehr wurde im Vorjahr auch Frankreich zum Verhängnis. Albanien fügte dem EM-Gastgeber und Gruppengegner in einem Testspiel eine 0:1-Niederlage zu. Der Teamchef der Équipe Tricolore, Didier Deschamps, musste im „Kicker“ feststellen: „Mit den Albanern hatten wir zuletzt keine guten Erfahrungen.“ (joe)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)