Ostern ist eine bessere Erzählung als der Untergang des Abendlands

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THEMENBILD: OSTERN / OSTERMARKTAPA/HELMUT FOHRINGER
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Der Islamismus ist weder Produkt des Westens noch das ganz andere, das über uns hereinbricht. Und schon gar nicht logische Konsequenz des Monotheismus.

Am Karfreitag 2016, im 55. Jahr ihres Bestehens, sollten die Rolling Stones ihr erstes Konzert in Kuba spielen. Dieser Meldung ließe sich mit ein bisschen Bemühen ein österlicher Spin verpassen – schließlich ist ein gerollter Stein wohl das älteste Symbol des christlichen Osterfests –, vor allem aber lässt sie sich als später Nachtrag zu einer großen Erzählung lesen: zur Erzählung vom Sieg von Demokratie, Freiheit, Marktwirtschaft, vom Fall des Eisernen Vorhangs, der Mauer.

Ein Vierteljahrhundert und einige Wirtschaftskrisen später ist der Glanz dieser großen Erzählung etwas verblasst – vielleicht auch durch die Lehre aus China, dass Kapitalismus und KP-Diktatur ganz gut miteinander auskommen können –, derzeit prägt eine ganz andere, gar nicht triumphale, sondern deprimierende Erzählung unser Denken und Fühlen. Eine Erzählung, in der der freie Westen – wie selten ist doch dieser Ausdruck geworden! – keine aktive Rolle spielt, sondern eine passive: als Ziel unaufhaltsamer Völkerwanderungen von Menschen, die seine Werte verachten.

In der linken Variante dieser Erzählung ist der Westen – um nicht Abendland zu sagen – selbst schuld an seinem Niedergang, er habe sich durch seine Gier, durch Kapitalismus und Imperialismus schuldig gemacht. Unser Wohlstand sei schuld am Elend in anderen Weltgegenden; der IS sei unser Produkt. Mit einer auf geradezu absurde Weise radikalen Formulierung dieser Sicht hat der französische Philosoph Alain Badiou auf die Attentate vom 13. November 2015 reagiert: Diese hätten ihre Ursache in der „neoliberalen Entfesselung des Kapitalismus“, durch die dieser „seine Potenz der totalen Destrukturierung“ entfaltet habe.

Die rechte Variante der Erzählung sieht das Abendland lieber als Opfer von Dekadenz, von Schwäche, die es den frommen und grausamen, tapferen und ungebildeten, furchtbaren und fruchtbaren Barbaren ausliefere. Der Vergleich mit dem Untergang des Römischen Reiches ist längst Gemeinplatz an den Stammtischen geworden. Hatte Oswald Spengler nicht recht? Sind wir nicht eine müde Gesellschaft geworden? Und erinnern die Schilderungen des Tacitus über die wackeren Germanen, bei denen die Frauen noch wissen, wo ihr Platz ist, nicht an unser Bild vom Islam?

Unsinn. So simpel läuft Geschichte nicht. Der Islamismus ist weder Produkt des Westens noch das ganz andere, das über ihn hereinbricht. Er ist keine Naturgewalt und schon gar nicht unverletzlich, auch nicht psychisch. Das in einem Mistkübel gefundene Schreiben eines Attentäters von Brüssel sollte unseren intuitiven Glauben an die unerschütterlichen Glaubenskämpfer erschüttern: „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, überall gejagt“ – heldenhaft klingt das nicht, eher mitleiderregend.

Dass man auch mit Tätern, mit Verbrechern Mitleid spüren kann, ist ja ein schöner Nebenstrang unserer Ostererzählung. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, ist nach Lukas ein Wort Jesu am Kreuz.

Aber ist nicht der Monotheismus – dessen strengste, konsequenteste Ausformung der Islam zu sein beansprucht – selbst schuld an der Bedrohung? Brachte nicht die „mosaische Unterscheidung“, die dogmatische Ausgrenzung anderer Götter, eine ganz neue Form von Unduldsamkeit, von Gewalt in die Welt? Der Religionswissenschaftler Jan Assmann, von dem diese vor einigen Jahren heftig diskutierte These stammt, hat sie kürzlich revidiert: In seinem Buch „Exodus“ entdeckt er den Auszug aus Ägypten (wie ihn auch Jesus zu Ostern gefeiert hat) als Gründungsmythos des Monotheismus, als „grandioseste und folgenreichste Erzählung der Geschichte“. Fort von der Sklaverei, weg mit der Unterdrückung, Religion als „kritische Instanz“, vielleicht sogar als Schwester der Aufklärung: In diesem Sinn lässt sich aus dem Ostermythos – der natürlich ganz wesentlich transzendent bleibt – eine säkulare Erzählung basteln, die mehr Hoffnung als die derzeit verbreiteten gibt. Die auch in dieser Welt sagt, was Dylan Thomas so schön gedichtet hat: Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Unbegründete Hoffnung? Ach was. Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass die Stones live in Kuba spielen würden?

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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