Rumänien: Die wütenden Schafhirten von Osoi

Der Hirte als Nationalsymbol Rumäniens: Alexandru Duma mit seinen Schafen in Osoi.
Der Hirte als Nationalsymbol Rumäniens: Alexandru Duma mit seinen Schafen in Osoi.Thomas Roser
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Österliche Akkordarbeit auf den Weiden: Kein Land in der EU exportiert so viele Lämmer wie Rumänien. Doch neue Gesetze erschweren die Arbeit der Karpatenhirten.

Osoi. Mit einem verblüfften Blöken reagiert das geschulterte Mutterschaf auf den gekonnten Judogriff. „Linkes Horn und rechtes Hinterbein – dann fällt das Schaf von allein“, erklärt Alexandru Duma, wie er die bis zu 70Kilogramm schweren Tiere in die gewünschte Seitenlage bringt. Denn die neu geborenen Lämmer müssten spätestens eine Stunde nach der Geburt an die Zitzen ihrer Mütter gelangen, sagt er lächelnd, während er einen schwarz-weiß gefleckten Säugling an den Euter der nun liegenden Mutter legt.

Alljährlich vor Ostern ist auf Rumäniens Weiden Akkordarbeit angesagt. Die Geburt von 800 Lämmern habe er in diesen Tagen zu betreuen, berichtet der 46-jährige Schäfer Duma im Karpatendorf Osoi, 45 Kilometer nördlich der Universitätsmetropole Cluj (Klausenburg). Jedes trächtige Schaf in seiner über 1000 Tiere zählenden Herde habe er „wie im Computer abgespeichert“: „Selbst in der Nacht schaue ich jede Stunde nach den Schafen. Als Schäfer bist du alles: Hebamme, Gynäkologe – und Krankenschwester.“

Ob sie durch die Täler oder über die Bergrücken von Transsylvanien ziehen: Als Nationalsymbol werden die Karpatenhirten in unzähligen Liedern und Oden besungen. Beliebt seien Liebeslieder über die Männer, die monatelang mit ihren Tieren in den Bergen blieben, erzählt der Schäfer: „Aber es gibt auch sehr traurige Lieder über die Hirten, die nie mehr zurückkamen – getötet vom Blitzschlag oder von einem Bären.“ Schäfer seien ein wichtiger Teil der rumänischen Kultur, berichtet Vasile Turculeţ, Generalsekretär des Verbands der Bergschäfer in Bistriţa: „Schäfer nahmen auf ihren langen Reisen Bücher mit und verbreiteten so Rumäniens Literatur.“

Mit mittlerweile 11,5 Millionen Tieren ist der Karpatenstaat der drittgrößte Schafproduzent und der größte Exporteur von Lebendlämmern der EU. Dennoch fühlen sich die Schäfer von Bukarest stiefmütterlich behandelt und im Stich gelassen. „Sie wollen uns selbst das Weiden auf dem eigenen Land verbieten“, schnaubt Duma verärgert.

Mit Glocken nach Bukarest

Es war die Verabschiedung eines neuen Jagd- und Weidegesetzes, die Mitte Dezember die Karpatenschäfer auf die Barrikaden brachte. Mit Schafsglocken zogen Tausende in die Hauptstadt, um gegen ein mehrmonatiges Winterweideverbot und die Begrenzung der Zahl der Hirtenhunde zu protestieren. Nach dem Willen der Volksvertreter sollte die Verbannung der Schafe auf ihre Koppeln Treibjagden erleichtern und die reduzierte Hundezahl das Reißen von Wild vermindern. Das Problem sei, dass mindestens die Hälfte aller Politiker selbst Jäger seien, sagt Alexandru: „Doch die Jäger haben hier immer nur eigene Interessen im Auge.“

Die Erstürmung des Parlaments durch die entrüsteten Schäfer vermochten selbst die aufgebotene Polizei und versprühter Pfefferspray nicht zu verhindern. Die von den heftigen Protesten überrumpelte Regierung setzte daraufhin das umstrittene Gesetz vorläufig außer Kraft: Im April will sie dem Parlament eine überarbeitete Version vorlegen.

Sein Protestschild von Bukarest hat Duma noch immer in seinem Wohnzimmer stehen. Seine Herde verlasse er trotz der drei von ihm beschäftigten Hirten nur ungern, gesteht er: „Denn nur das Auge des Eigentümers macht die Schafe fett.“ Doch in die 500Kilometer entfernte Hauptstadt wäre er zur Not „auch zu Fuß gegangen“: „Anstatt den Schäfern zu helfen, werden uns von der Politik nur Steine in den Weg gelegt.“

Eine Regulierung der Hundezahl ergebe keinen Sinn, da die Schäfer selbst am besten wüssten, wie viele Hunde sie brauchten: „In den Tälern kann man mit zwei bis drei Hunden pro Herde auskommen. Aber in den Bergen brauchst du selbst für wenige Schafe acht bis zehn Hunde, um sie vor Angriffen von Wölfen und Bären zu schützen.“

Von „jeder Menge Probleme“ für seinen Berufsstand spricht auch Traian Farcas, der Vorsitzende des Schafzüchterverbands in Turda. So erhielten Rumäniens Schäfer weniger als ein Drittel der EU-Zuschüsse, die ihre Kollegen in Deutschland einstreichen würden. Immer schwerer falle es Rumäniens Schäfern zudem, Hirten für ihre Herden zu finden: „Die Alten sterben weg. Und die Jungen interessieren sich für diese schwere und schwierige Arbeit kaum mehr.“ Vor allem die Berghirten hätten für ihre Arbeit persönliche Opfer zu bringen, sagt in Bistriţa Schäferfunktionär Turculeţ: „Man ist lang von zu Hause weg und hat in Isolation und unter sehr harten Bedingungen zu leben. Selbst im Juni kann es noch schneien.“

Fröhlich meckernd begrüßt in Osoi ein erleichtertes Muttertier ihr frisch geborenes Lamm. Manchmal fühle er sich bei seiner Arbeit wie in einem „offenen Gefängnis“, räumt Schäfer Duma ein, während er die jüngste Verstärkung seiner Herde liebevoll in die Arme nimmt. Die allermeisten Schäfer und Hirten seien gute Menschen: „Denn wenn sie nicht voller Liebe wären, hätten sie bei dieser Arbeit nichts verloren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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