"Frauen können nicht alles zugleich"

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SWITZERLAND WEF 2015 DAVOSJEAN-CHRISTOPHE BOTT / EPA / picturedesk.com
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"Frauen können nicht alles zugleich"Die Idee, junge Frauen müssten sich bloß mehr anstrengen, um Konzernspitzen zu erklimmen, ist falsch, warnt Rita Gunther McGrath, Professorin an der Columbia Business School.

Washington. Im Jahr 1999 hatte Procter & Gamble eine fabulöse Idee: ein Produkt, mit dem man seine sensiblen Kleidungsstücke selbst im Wäschetrockner reinigen kann, statt sie in die Putzerei tragen zu müssen. Eine halbe Milliarde Dollar Jahresumsatz erhoffte sich Durk Jager, der damalige Vorstandschef des Verbrauchsgüterherstellers, damals im Gespräch mit dem „Fortune Magazine“. Doch Dryel floppte, und ein Jahr später war Jager, der seine Untergebenen als Alphatier mit markigen Sprüchen der Sorte „Mit welchem Dreck versuchen Sie, mein Gehirn zuzumüllen?“ zusammengeschnitten hatte, Ex-Konzernchef.

Was war da schiefgegangen? „Die Antwort ist für jeden, der selbst Hausarbeit erledigt, wenig überraschend: Das Reinigen an sich ist nicht der größte Nutzen, den man aus dem Besuch einer chemischen Putzerei gewinnt. Man muss die Kleidung auch bügeln lassen“, schmunzelt Rita Gunther McGrath im Gespräch mit der „Presse“. Die Professorin an der Columbia Business School in New York lehrt und forscht in Sachen Strategie und Führung, sie leitet unter anderem ein Seminar über Frauen in Führungspositionen. Das Dryel-Fiasko ist für sie ein warnendes Beispiel dafür, welchen Gefahren sich Unternehmen aussetzen, indem sie Frauen den Weg in Entscheidungspositionen verwehren. „Meine Hypothese ist: An diesem ganzen Entscheidungsprozess bei Procter & Gamble war keine einzige Frau beteiligt, denn eine Frau hätte sofort gesagt: ,Moment, das ist doch ein Witz, ich will das nicht reinigen, wenn ich es nachher erst recht bügeln muss.‘“

Sandberg vs. Slaughter

Der Diskurs über die Frage, was Frauen davon abhält, die Kommandoebenen von Unternehmen und anderen Organisationen zu erklimmen, ist in der jüngeren Vergangenheit durch zwei bemerkenswerte Veröffentlichungen in eine neue Bahn gelenkt worden. Es begann vor drei Jahren mit dem Buch „Lean in“ von Sheryl Sandberg, die nach einer glänzenden Karriere bei Google im Vorstand von Facebook sitzt. Ihr Rat an junge Frauen lautet, vereinfacht gesagt: Strengt euch mehr an, gebt nicht sofort auf, habt den Willen, Chefin zu sein, dann könnt ihr alles schaffen – und, sofern ihr euch den richtigen Partner aussucht, auch noch das Familienglück mit der Berufslaufbahn balancieren. Zwei Jahre später erklärte Anne-Marie Slaughter mit ihrem Buch „Unfinished Business“, wieso sie ihren hochkarätigen Posten als politische Planerin im Kabinett von Außenministerin Hillary Clinton aufgegeben hatte, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Ihre Gegenthese zu Sandberg: Frauen können sich noch so sehr anstrengen, solange die Gesellschaft nicht frauenfreundlicher wird und die Vereinbarung von Familie und Beruf fördert, wird sich wenig ändern.

Frauen, wagt zu verhandeln!

McGrath steht Slaughters Position näher als jener Sandbergs. „Ich denke, sie kommen aus unterschiedlichen Kontexten. Sandberg hatte noch keine Teenager, und Slaughter entwickelte ihre Theorie zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben, zu dem sie einen herausfordernden Job aufgab, weil sie fühlte, dass ihre Teenager nicht auf der richtigen Spur waren. Ich denke: Frauen können alles haben – aber nicht zur selben Zeit. Die Idee, dass man gleichzeitig Vollzeitelternteil, Vollzeitarbeiter und Vollzeitführungskraft sein kann, ist irre.“

McGrath findet an Sandbergs Position auch problematisch, dass „sie zu viel Wert darauf legt, was Frauen machen sollen, und zu wenig darauf, was die Organisationen tun sollten“. Sie nennt ein Beispiel dafür, wie sich unbewusste Denkmuster gegen Frauen wenden. In einer Studie wurden Lebensläufe von Männern und Frauen erstellt, die unterschiedlich erfahren beziehungsweise ausgebildet waren. Wenn man so einen Lebenslauf eines Mannes mit größerer Erfahrung den Versuchspersonen vorlegte, sagten sie: Erfahrung ist für diesen Posten entscheidend. Zeigte der Lebenslauf eines Mannes hingegen, dass seine Ausbildung besser war als jene seiner Konkurrentin, sagten die Probanden: Klar, die Ausbildung entscheidet. Anders ausgedrückt: Der Mann gewinnt immer. „Das Interessante aber ist: Wenn man die Versuchspersonen vorab darum bittet, die Kriterien für die Auswahl festzulegen, verschwinden die Geschlechtsunterschiede.“

McGrath ermahnt ihre Studentinnen darüber hinaus dazu, keine Scheu davor zu haben, für ihre eigenen Interessen einzutreten: „Männer fragen ständig um Gehaltserhöhungen, aber Frauen werden von frühestem Alter an sozialisiert, nicht zu fragen. Männer führen ihren Erfolg darauf zurück, wie schlau und kompetent sie sind. Frauen sagen hingegen viel öfter, sie hätten bloß Glück gehabt. Und sie haben öfter Zweifel, dass sie einer Aufgabe gewachsen sind, wenn sie sich nicht zu 100 Prozent sicher sind. Männer sagen da viel eher: Klar, machen wir.“

ZUR PERSON

Rita Gunther McGrath
lehrt und forscht an der Columbia Business School. Sie ist Referentin am Wiener Strategieforum (1. Juni 2016, WU Wien, www.strategieforum.at), Thema u.a.: „Innovationsstrategie für Österreich und Europa“. „Die Presse“ ist Medienpartnerin. [ Archiv ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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