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Gut versteckt im Seitentrakt des Schlosses Schönbrunn liegt das Gemeinschaftsatelier von Buchrestaurator Peter Zehetmayer.

Wenn man von der von Kastanien gesäumten, lichten Allee im Schönbrunner Schlosspark in die dunklen Eingeweide der ehemaligen Kaiserresidenz abbiegt, braucht man entweder einen ortskundigen Führer oder eine sehr gute Wegbeschreibung, um den Finsteren Gang zu finden. Er heißt tatsächlich so. Hinter einer seiner weißen Türen versteckt sich ganz und gar nichts Finsteres. Hier, wo sich nie ein Tourist hinverirrt, haben vor mehr als 20 Jahren sechs Restauratoren ihre Zelte aufgeschlagen. Betritt man die Werkstatt des Instituts für Papierrestaurierung, in dem alten Büchern, Fotografien, Tapeten und Papier zu einem längeren Leben verholfen wird, ist man von einer Mischung aus Atelier und Wohnzimmer – Privatem und Beruflichem – umgeben, das sich hier unter tief gewölbten Decken inmitten von Druckpressen, Pinseln, Leder, Papierbahnen, Kaffeegeruch und frischen Schnittblumen die Hand reicht.

Buchrestaurator Peter Zehetmayer war von Beginn im Jahr 1996 an dabei. Dem gelernten Buchbindermeister vertrauen private Sammler wie auch Archive, Bibliotheken und Museen aus dem ganzen Land ihre sich zersetzenden Comics, Zeitschriften oder Annalen an. Die Konkurrenz ist verschwindend gering. „Hielten zu meiner Lehrzeit 70 Meister das Handwerk hoch, sind es heute vielleicht noch zehn in Österreich“, konstatiert der 52-Jährige.


Die Bücher haben das Sagen.
Nachwuchs käme zwar nach, aber für Zehetmayer, der sich selbst als „old school“ bezeichnet, nicht immer mit dem notwendigen Wissen um die alten Binde- und Klebetechniken. Nicht seine Auftraggeber würden diesen Traditionalismus von ihm verlangen, sondern die Bücher selbst, betont er. Denn die Kunst und auch Aufgabe bestehe darin, gemeinsam mit der Originalsubstanz die Information der vergangenen Zeiten ins Heute herüberzuretten.

Der Handvoll an Fachkräften steht aber auch eine vergleichsweise überschaubare Zahl an Kunden gegenüber, die gewillt und vor allem finanziell in der Lage ist, solche Restaurierungsarbeiten nachzufragen. „Die Menge an kaputten Büchern ist immens – aber jeder lässt sein Haus oder auch sein Bücherregal vor seinem Buch restaurieren.“ Bei Zehetmayer, der, wie er selbst sagt, lieber feines französisches Marmorpapier als Kleidung kauft, stößt das sichtlich auf Unverständnis.

Er, der nach seiner Lehrzeit als Saisonarbeiter in einer Kalenderfabrik anfing, entdeckte seine Liebe zum Restaurieren in den Achtzigern. Damals, als junger Buchbindergeselle, eröffnete ihm die Nationalbibliothek die Möglichkeit, sich im Centro del bel Libro im Schweizer Ascona in die Kunst der Buchrestaurierung einweisen zu lassen. Denn auch damals schon herrschte ein Mangel an Fachleuten, die es brauchte, um die 15.000 Bände umfassende Bibliothek von Prinzen Eugen vor einem schleichenden Tod zu bewahren. In der Schweiz sei ihm sofort klar geworden: „Das muss man machen.“ Neue Bücher binde er zwar auch heute noch nebenbei. Aber einerseits merkt man ihm an, dass sein Herz für die Bewahrung des Alten schlägt. Und andererseits, ergänzt Zehetmayer schlicht, könne man vom Buchbinden heutzutage erst recht nicht mehr leben. Wer zahle einem schließlich noch 2000 Euro für ein in 37 Arbeitsschritten von Hand gefertigtes, ledernes Gedichtbuch in aufwendiger französischer Bindung?

Wenn er einen kreativen Ausgleich zu seinen mehr oder weniger schwierigen papierenen Patienten braucht, die mit ihren Schrammen und Flecken jeden Arbeitsschritt genau diktieren, verlegt sich Zehetmayer lieber auf die Arbeit mit ungewöhnlichen Stoffen. Neben dem in seinem Atelier allgegenwärtigen Leder arbeitet er dann mit Metallen, Pergament, entwirft Notizbücher, Skulpturen, faltbare Papierparavents oder wie jüngst für seine Tochter gleich ein ganzes Bücherregal aus marmoriertem Papier und Holz.

Blumen, Kaffee, Freiheit. Nach zwölf Jahren als Buchrestaurator im Albertina-Museum – auch hier wieder nahm er sich der Hinterlassenschaften Prinz Eugens, genauer seiner in 800 A2-Bänden gelagerten Druckgrafiken, an – merkt man, wie sehr Zehetmayer die Freiheit der eigenen Werkstatt genießt. Die Zeiten seien natürlich nicht immer leicht als selbstständiger Buchrestaurator ohne Fixanstellung bei einer öffentlichen Institution. Aber auch wenn man um Aufträge kämpfen, teures Papier anschaffen und von dem teilweise Wenigen noch Steuern abführen muss, zahle es sich allein aus Liebe zum Handwerk aus. „Sonst würden wir das hier ja alle nicht machen“, sagt Zehetmayer lachend und deutet über den Esstisch mit den bunten Blumen und Kaffeetassen hinweg in Richtung der aneinander anknüpfenden Ateliers, in denen seine Kollegen leise vor sich hinarbeiten.

Um ihr Überleben macht er sich keine Sorgen. „Man kennt uns mittlerweile – schließlich sind wir das größte Institut Österreichs auf diesem Sektor.“ Und Kunden, die die Restauratorenrunde nicht kennen, sind spätestens überzeugt, wenn sie ihre kaiserliche Adresse hören. „Wir sagen, wir sind im Schloss Schönbrunn, das macht was her“, sagt Zehetmayer zwinkernd. Kein Wort vom Finsteren Gang. Dieser stille Winkel des Schlosses erweist sich aber auch als praktisch – quasi als Feuerprobe für zukünftige Kundschaft: Findet sie allein ins Atelier, ist ihr die Sympathie des Buchrestaurators gewiss.

Das Institut

Buchrestaurator Peter Zehetmayer ist Teil eines sechsköpfigen Teams, das seit mehr als 20 Jahren das Institut für Papierrestaurierung im Wiener Schloss Schönbrunn betreibt.

Nicht nur die Lebenszeit von Büchern kann man dort verlängern lassen. Zehetmayers Kollegen haben sich auch auf die Konservierung und Restaurierung von Fotografien, Tapeten und Papieren aller Art spezialisiert.

Adresse:
Schloss Schönbrunn, Orangerie,
Finsterer Gang 71

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2016)

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