Brexit-Debatte: „Obama soll den Mund halten“

Britain's Prime Minister David Cameron arrives at the memorial service for victims of the attack on the Bardo Mudeum in Tunis and the Tunisian holiday resort of Port El Kantaoui in Sousse, at Westminster Abbey in central London
Britain's Prime Minister David Cameron arrives at the memorial service for victims of the attack on the Bardo Mudeum in Tunis and the Tunisian holiday resort of Port El Kantaoui in Sousse, at Westminster Abbey in central LondonREUTERS
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Premier David Cameron verspricht sich von der Stippvisite des US-Präsidenten in London einen positiven Effekt für das Pro-EU-Lager. EU-Gegner wie Boris Johnson werfen den USA indes „Gipfel der Heuchelei“ vor.

London. Selten wird sich David Cameron über Besuch so freuen wie über die heutige Visite von Barack Obama in der Downing Street. Auf ungewöhnlich lange 90 Minuten wurde ein bilaterales Treffen angesetzt, an dessen Ende der britische Premier auf öffentliche Unterstützung des US-Präsidenten hoffen kann: „Der Präsident hat klargemacht, dass wir ein starkes Großbritannien in der Europäischen Union unterstützen“, sagte Obamas Sicherheitsberater, Ben Rhodes.

Zugleich wird Obama betonen, dass die Entscheidung in der Volksabstimmung am 23. Juni allein Sache der Briten sein wird. „Er wird seine Meinung als Freund zum Ausdruck bringen“, sagte Rhodes. Cameron nahm diesen Ball direkt auf und erklärte im Parlament: „Ich denke, dass wir gut beraten sind, auf den Rat unserer Freunde zu hören. Mir fällt kein Führer eines befreundeten Landes ein, der uns den Austritt aus der EU empfehlen würde.“

Die EU-Gegner, die üblicherweise am lautesten die „Special Relationship“ zwischen London und Washington beschwören, zeigen sich hingegen über die freundlichen Empfehlungen des US-Präsidenten empört. Von einer „unwillkommenen Einmischung“ sprach Nigel Farage von der United Kingdom Independence Party. Obama soll „den Mund halten“. Boris Johnson, der scheidende Londoner Bürgermeister und Anführer des Anti-EU-Lagers, warf den USA „einen Gipfel der Heuchelei“ vor: „Gerade die USA würden niemals solche Einschränkungen der Souveränität akzeptieren, wie sie die EU-Mitgliedschaft mit sich bringt.“

Pro-EU-Lager schlägt Alarm

Der US-Präsident reiste am Donnerstagabend vom Golf-Kooperationsrat in Riad nach London, und wollte vor den politischen Gesprächen mit dem Premier am Freitag noch einen Lunch mit der Queen einnehmen. Beim letzten Besuch hatte vor allem Michelle Obama einen bleibenden Eindruck bei der Königin hinterlassen.

Die Stippvisite des US-Präsidenten beendet eine Woche, in der das Pro-EU-Lager das Geschehen dominierte. Tag für Tag wurde schweres Geschütz aufgefahren – sei es durch die Warnung des Schatzkanzlers, George Osborne, wonach ein Austritt aus der Union bis 2030 jeden Haushalt 4300 Pfund (5500 Euro) im Jahr kosten würde; sei es durch den Brief von acht Ex-US-Finanzministern, wonach „der Verbleib in der EU die beste Hoffnung für die Zukunft Großbritanniens darstellt“.

Diese Aussagen bleiben nicht ohne Wirkung. In den jüngsten Umfragen liegt das Ja-Lager leicht vorne, wenngleich weiter alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hindeutet. „Die EU-Befürworter wollen die Debatte von Beginn an dominieren“, sagte Politik-Professor Michael Kenny von der Queen Mary University of London der „Presse“. „Indem man die Gegner quasi überrollt, versucht man eine Debattenhoheit zu gewinnen und möglichst früh eine Vorentscheidung zu erzwingen.“ Zu viele Warnungen und als Einmischung wahrgenommene Aussagen können freilich auch kontraproduktiv wirken. „Die Versuchung, den Regierenden eine Ohrfeige zu verpassen, wird dadurch nur größer“, meint Kenny.

Die EU-Gegner hätten bisher keine glaubwürdigen Projektionen vorgelegt, wie die britische Wirtschaft sich nach einem Austritt aus der Union entwickeln würde. Aussagen wie jene von Justizminister Michael Gove, dass „wir eine nationale Befreiung erleben“ würden, könnten die Sorgen um die eigene Geldtasche nicht ausräumen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2016)

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