Wo ist der Betriebsrat?

BETRIEBSVERSAMMLUNG DER EISENBAHNER
BETRIEBSVERSAMMLUNG DER EISENBAHNERAPA/GEORG HOCHMUTH
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In staatsnahen Konzernen ist die Macht des Betriebsrats nach wie vor groß. Aber im Allgemeinen schwindet sie. 14 Prozent der österreichischen Betriebe haben einen.

Franz Ruhaltinger hat vermutlich im Grab rotiert. Dass so etwas in Österreich überhaupt passieren kann, wäre zu seiner Zeit undenkbar gewesen. Da droht ein Unternehmer – ein Milliardär namens Dietrich Mateschitz –, seinen Fernsehsender zuzusperren, nur weil die Belegschaft darüber nachdenkt, einen Betriebsrat zu gründen. Mittlerweile ist der Fortbestand von Servus TV bekanntlich gesichert. Es wird dort auch weiterhin keinen Betriebsrat geben. Und somit lautet die Frage: Wie steht es mit dem Fortbestand der österreichischen Betriebsratskultur nach diesem historischen Salzburger Debakel?

Und die Gegenfrage lautet: Welche Kultur? Denn die öffentliche Meinung, dass Betriebsräte in diesem Land über große Macht verfügen und mehr oder weniger in den Unternehmen mitregieren, scheint ziemlich weit hergeholt. Über die genaue Zahl der Unternehmen, die einen Betriebsrat haben, sind keine aktuellen Daten verfügbar. Die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba) in Wien kam 2006 zu dem Ergebnis, dass in Österreich gerade einmal 14 Prozent der infrage kommenden Betriebe über einen Betriebsrat verfügen. Diese Zahl dürfte bis 2016 nicht dramatisch gestiegen sein.

Auch wenn Gewerkschaft und Arbeiterkammer „fassungslos und entsetzt“ waren, Servus TV ist die Norm und nicht die Ausnahme. „Wir leben in Österreich und nicht in irgendeiner Bananenrepublik“, polterte der Salzburger Gewerkschafter Gerald Forcher in Richtung Mateschitz. Er meinte vermutlich, dass in Bananenrepubliken die Dichte an Betriebsräten niedriger sei als in Österreich.

Dabei ist das Arbeitsverfassungsgesetz ziemlich klar und strikt. „In jedem Betrieb, in dem dauernd mindestens fünf stimmberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden, sind [. . .] von der Arbeitnehmerschaft Organe zu bilden“, heißt es. Kein „kann“ oder „darf“. Betriebsräte „sind“ von Gesetzes wegen zu bilden. Doch warum geschieht es nur in den seltensten Fällen? Warum handelt es sich hierbei vielerorts um totes Recht?

„Weil die Leute mit all ihren Problemen zu mir kommen können“, sagt ein niederösterreichischer Unternehmer, der aus verständlichen Gründen nicht genannt werden will. Er beschäftigt knapp 60 Mitarbeiter und hat trotz wirtschaftlicher Flaute keinen einzigen abgebaut.

Keiner seiner Leute habe bisher den Drang verspürt, einen Betriebsrat zu gründen. Auf dem Land gebe es noch so etwas wie Zusammenhalt. Seine Kinder gehen mit den Kindern seiner Angestellten in die Schule, spielen im selben Fußballklub. Man sieht sich im Supermarkt, im Gasthaus und in der Kirche. Als vor einiger Zeit ein Mann von der Arbeiterkammer in die Firma geschneit kam und nach dem Betriebsrat fragte, habe ein Mitarbeiter auf das Büro des Chefs gedeutet und gemeint: „Da drinnen sitzt er.“


66.000 Betriebsräte. Laut ÖGB gibt es in Österreich 8000 Betriebsratsgremien. In diesen sind 66.000 Betriebsräte tätig. Immerhin werden etwas mehr als 50 Prozent aller Beschäftigten durch Betriebsräte vertreten. Die Zahl der Gremien bleibt konstant, die Betriebsräte vermehren sich hingegen, weil die Zahl der Beschäftigten steigt. Und je mehr Beschäftigte, umso mehr Betriebsräte. Ab 20 Mitarbeitern sind bereits drei Betriebsräte erforderlich, fünf Betriebsräte gibt es ab 100 Mitarbeitern. Hat ein Betrieb mehr als 150 Beschäftigte, kann der Betriebsrat vom Dienst freigestellt werden und sich ausschließlich seiner Arbeit für die Belegschaft widmen. Ein oft zweischneidiges Schwert. Denn einerseits sind die Aufgaben und Pflichten eines Betriebsrats in einem Großunternehmen ziemlich umfassend, andererseits verliert der Betriebsrat in einer sich schnell verändernden Arbeitswelt sehr rasch den Bezug zu seinem Job. Was tut einer, wenn er von seinen Kollegen nach Jahren der Freistellung nicht mehr gewählt wird?

In Großkonzernen ist diese Frage eher von hypothetischer Natur. Vielerorts gilt der Posten des Betriebsratschefs als Sprungbrett ins Topmanagement. So avancierte etwa die einstige Bank-Austria-Betriebsratschefin Hedwig Fuhrmann zur Leiterin der Innenrevision. Gar nicht so selten wechseln Betriebsräte in die Personalabteilung, wo in der Regel die „natürlichen Feinde“ des Betriebsrats zu Hause sind. Im vergangenen Jahr lief etwa MAN-Betriebsratschef Jürgen Dorn in die Personalabteilung des VW-Konzerns über. Sollte es also beim skandalerschütterten Autobauer demnächst zu Personalabbau kommen, weiß Dorn ganz genau, wie sein Gegenüber argumentieren und handeln wird.

Von Karrieresprüngen sind Betriebsräte in kleinen und mittelständischen Unternehmen weit entfernt. Im Gegenteil: Der oft unbeliebte und noch öfter unbedankte Job gilt als Karrierekiller. Betriebsrat, so der Tenor, bedeutet vor allem Unkündbarkeit. Von der Fülle an Informations-, Kontroll- und Mitwirkungsrechten ist selten die Rede.

Zwar ist der Einfluss des Betriebsrats in staatsnahen Konzernen nach wie vor groß, aber längst nicht mehr vergleichbar mit der schier unbegrenzten Machtfülle eines Franz Ruhaltinger. Als „Betriebskaiser“ der Voest galt er in den 1970er- und 80er-Jahren als die personifizierte Industriepolitik des Landes. Ein Wort von ihm genügte, und Voest-Generaldirektor Heribert Apfalter musste zum Rapport nach Wien, wo ihm Kanzler Bruno Kreisky persönlich erklärte, wer in der Voest das Sagen hat.

Fakten

Fünf Mitarbeiter sind erforderlich, damit ein Betriebsrat installiert werden kann.

14 Prozent der österreichischen Betriebe mit mindestens fünf Mitarbeitern haben einen Betriebsrat. Vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen sind Betriebsräte nicht die Regel.

8000 Betriebsratsgremien gibt es hierzulande. Diese findet man vor allem in großen Unternehmen. 66.000 Betriebsräte vertreten etwas mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in diesem Land.

Die Zahl der Betriebsräte hängt von der Anzahl der Betriebsstandorte eines Unternehmens ab. Jeder selbstständige Standort mit mindestens fünf Mitarbeitern hat Anspruch auf einen Betriebsrat. Verfügt ein Betrieb über mehr als 150 Mitarbeiter, so kann der Betriebsrat vom Dienst freigestellt werden und sich ganz seiner Aufgabe für die Mitarbeiter widmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2016)

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