Brexit: Britische Industrie revidiert BIP-Prognose

(c) REUTERS (Toby Melville)
  • Drucken

Das Wirtschaftswachstum in Großbritannien soll sich aufgrund wachsender Unsicherheit verlangsamen. Auch Gewerkschafter warnen vor drohenden Jobverlusten in Millionenhöhe.

London. Der 23. Juni, der Tag des EU-Referendums in Großbritannien, naht – und die Stimmung wird immer nervöser. Bei aller Ungewissheit gibt es aber schon erste Konsequenzen: Die britische Industrie hat wegen der Unsicherheit über den Verbleib Großbritanniens in der EU ihre Wirtschaftsprognose für dieses und das kommende Jahr gesenkt. Der Wirtschaftsverband CBI rechnet nun noch mit einem Wachstum von jeweils zwei Prozent. Noch im Februar war er von einem Plus von 2,3 im Jahr 2016 und von 2,1 Prozent 2017 ausgegangen.

„Eine dunkle Wolke der Unsicherheit hängt über dem weltweiten Wirtschaftswachstum“, sagte CBI-Generaldirektorin Carolyn Fairbairn am Montag. Vor allem wegen des ungewissen Ausgangs des EU-Referendums am 23. Juni zögerten Firmen mit Investitionen.

Die Bank of England hatte schon am Donnerstag ihre Wachstumsprognose auf 2,0 Prozent für 2016 und 2,3 Prozent für 2017 gesenkt. Die Notenbank warnte davor, dass sich das Wirtschaftswachstum deutlich verlangsamen könnte, sollten die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union stimmen. Selbst eine kurze Rezession sei im Fall eines Votums für den Brexit möglich, erklärte die Bank of England.

Auch der britische Premierminister, David Cameron, warnte am Wochenende erneut vor den wirtschaftlichen Folgen eines Brexit. Großbritannien würde einen „unmittelbaren und nachhaltigen Rückschlag“ erleiden, sagte Cameron bei einer Wahlkampfveranstaltung. „Wenn wir am 23. Juni für den Brexit stimmen, stimmen wir für eine mögliche Rezession, und das ist, was unsere Wirtschaft am wenigsten brauchen kann“, sagte der Regierungschef.

Warnende Worte gab es auch vom britischen Gewerkschaftsbund TUC (Trades Union Congress): Für den Fall eines Brexit sei mit erheblichen Jobverlusten zu rechnen. „Vier Millionen Jobs sind in Gefahr“, sagte Owen Tudor, Leiter der Abteilung für europäische Angelegenheiten beim TUC.

Probleme für Exportwirtschaft

Bei den gefährdeten Arbeitsplätzen handle es sich vor allem um Jobs in der Exportwirtschaft, zum Beispiel in der Auto- und Chemiebranche. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Preise für britische Exportprodukte im Fall eines EU-Austritts steigen werden“, sagte Tudor. Wie viele Jobs dann genau verloren gehen würden, hänge sehr stark davon ab, wie ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und den verbliebenen EU-Staaten aussähe.

Weitere Jobs seien zudem in Gefahr, weil der Wirtschaftsstandort Großbritannien durch den Verlust des Zugangs zum EU-Binnenmarkt an Attraktivität verlieren würde. „Wir gehen davon aus, dass die Investitionen aus Drittstaaten sinken werden“, sagte Tudor. Die Folge könne ein Abwärtsstrudel sein, der weitere Jobs kostet.

Die Gewerkschaften befürchten zudem eine Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten, sollte Großbritannien die EU verlassen. Eine Million britischer Angestellter müsste nach einem Brexit möglicherweise damit rechnen, länger arbeiten zu müssen. „Die Brexit-Befürworter machen kein Geheimnis daraus, dass sie Arbeitszeitbeschränkungen aufheben wollen. Arbeitnehmer könnten dann gezwungen werden, bis zu 60 oder 70 Stunden in der Woche zu arbeiten“, sagte TUC-Generalsekretärin Frances O'Grady.

300 Geschäftsleute sprachen sich gestern per offenem Brief für den Brexit aus. Nur eine Minderheit mache „wirklich Geschäfte mit der EU“. (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

Brexit-Debatte: "Auch Hitlers Versuch endete tragisch"

Am 23. Juni stimmen die Briten über den Verbleib in der EU ab. Die Gewerkschaft warnt vor dem Verlust von vier Millionen Jobs. Londons Bürgermeister bemüht einen Hitler-Vergleich.
International

Wirtschaftliches Nirvana: Der Brexit aus deutscher Sicht

Am 23. Juni 2016 entscheidet eine Volksabstimmung im Vereinigten Königreich über den EU-Austritt. Für Deutschland wären die Folgen eines Brexit gravierend.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.