Justiz in China: Die 68 Wege zum Schafott

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In China gibt es dreimal so viele Hinrichtungen wie im Rest der Welt – etwa wegen „schweren Gemüsediebstahls“.

PEKING/WIEN. Die Boom-Nation China steht weltweit auch in einer anderen Hinsicht an der Spitze: In keinem Land sonst wird die Todesstrafe so exzessiv angewendet. Laut der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ (AI) richtete China im Vorjahr mindestens dreimal so viele Menschen hin als alle anderen Länder zusammen. Und: Nirgendwo sonst büßt man so viele Delikte mit dem Leben: Nicht weniger als 68 (!) Straftatbestände sehen die Todesstrafe vor.

Die Zahl der Exekutionen wird von der Regierung sorgsam gehütet. Laut AI wurden 2008 mindestens 7000 Todesurteile verhängt und 1700 vollzogen, obwohl die Welt wegen der Olympischen Spiele nach China blickte; die italienische Organisation „Hands off Cain“ sprach zuletzt sogar von rund 5000 Exekutionen in China.

Vergleich: Weltweit gab es daneben nach AI „nur“ mindestens 670 Exekutionen; im Iran, wo 2008 die zweitmeisten Todesurteile vollstreckt wurden, waren es gut 346.

Tod für Tötung von Pandabären

Erschreckend viele Wege führen in China zum Schafott: 68 Tatbestände sehen den Tod vor, von Gewalttaten wie Mord, Raub und Vergewaltigung über exotische Delikte wie Tötung von Pandabären und Plünderung archäologischer Stätten bis zu gewaltfreien Vergehen wie Diebstahl von Benzin, Steuerflucht und Veruntreuung. Andere todeswürdige Taten sind u.a. Kreditkartenbetrug, Verkauf schädlicher Lebensmittel, Herstellung pornografischen Materials und schwerer Gemüsediebstahl.

Schnell und strikt strafen

Die vielen Todesurteile sind auf die seit 1983 laufenden Anti-Kriminalitätskampagnen „Yanda“ („hartes Durchgreifen“) zurückzuführen. Ihr Ziel: Kriminelle schnell und strikt zu strafen. Allein in den ersten zwei Monaten nach Beginn der Kampagne sollen laut AI 1000 Menschen hingerichtet worden sein. Die Praxis des Strafrechts in China ist bis heute durch willkürliche Verhaftungen, gewaltsame Verhöre, mangelnde Verteidigungsmöglichkeiten und politisch motivierte Urteile gekennzeichnet.

Zuletzt gab es freilich eindämmende Tendenzen: So werden in der Praxis bei geringfügigeren Delikten der „Todesliste“ meist Haft- oder Geldstrafen verhängt. Seit 2007 sind die Obersten Provinzgerichte nicht mehr höchste Instanz im Strafprozess, Todesurteile müssen durch einen der drei neuen Strafgerichtshöfe des Höchstgerichts in Peking überprüft werden. Und Zhang Jun, Vizepräsident des Obersten Volksgerichts, kündigte diese Woche eine Minderung der Exekutionen an. Es solle „so wenig Todesurteile wie möglich“ geben.

Massenhinrichtung zum Feiertag

Chinesische Politiker begegnen internationaler Kritik mit dem Argument, dass die Todesstrafe nötig sei, weil sie vom Volk als Vergeltung verlangt werde. Wie viele Exekutionen es heuer geben wird, wird sich im späten Herbst zeigen: Statistiken zufolge finden sie in China oft in Form von Massenexekutionen vor Feiertagen statt – speziell vor dem 1. Oktober, dem Gründungstag der Volksrepublik.

Vor einigen Jahren noch wurde man nach der Verurteilung meist gleich erschossen. Das war umständlich, da viele Verurteilte etliche Schüsse bis zum Tod brauchten. Seit 2003 setzt man in einigen Südprovinzen wie Sichuan und Yunnan nun mobile „Exekutionsbusse“ ein. In diesen speziellen Mini-Bussen der Marke Toyota mit der Aufschrift „Fayuan“ („Gericht“) werden die Todeskandidaten mit einer Giftspritze statt mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet.

Modernes „Exekutionsmobil“

Doch Toyota hat Konkurrenz: In der Jangtse-Metropole Chongqing werden chinesische Reisebusse der Marke „Jinguan“ („Goldene Krone“; s. links) zu acht Meter langen „Exekutionsmobilen“ namens „Shenglu“ („heiliger Weg“) umgebaut. Im Internet wirbt Jinguan für die Ausstattung des Wagens, darunter eine elektrisch betriebene Exekutionsbahre, ein Überwachungssystem mit LCD-Display, ein Leichenkasten und ein elektronisches Desinfektionssystem.

Laut Amnesty International gab es 2008 die meisten Exekutionen nach China und dem Iran in Saudiarabien (mindestens 102), den USA (37) und Pakistan (36). In Japan gab es mindestens 15, auch im karibischen Inselparadies Saint Kitts and Nevis wurde ein Mensch hingerichtet. Als einziges Land in Europa ließ Weißrussland noch vier Menschen töten.

Die Todesstrafe wird in 59 Staaten praktiziert. Vielfach gibt es dort keine offiziellen Zahlen dazu, die Dunkelziffer liege höher, so Amnesty International. Im arabischen Raum steht sie vielerorts auch auf religiöse Vergehen wie Abfall vom Islam (etwa im Iran) und Gotteslästerung oder Hexerei (Jemen, Saudiarabien). Auf Drogenbesitz in größeren Mengen steht u. a. in Singapur und Malaysia der Tod. In den USA gibt es die Todesstrafe in 36 von 50 Staaten; seit ihrer Wiedereinführung 1976 aber nur wegen Tötungsdelikten.

AUF EINEN BLICK

In China gibt es die meisten Todesurteile und Straftatbestände mit Todesdrohung, nämlich 68 – und das nicht nur bei Taten wie Mord und Raub, sondern auch etwa für Kreditkartenbetrug, Geldfälschung, Tötung geschützter Tiere.

Moderne „Exekutionsmobile“,in denen die Delinquenten vergiftet werden (l.), ersetzen immer öfter den bisher üblichen Genickschuss im Hinterhof des Gerichts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2009)

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