Karlsplatz: Glas und Licht statt Drogenszene

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Drogenumschlagplatz Karlsplatzpassage wird bis Ende September geräumt, um einer „Kulturpassage“ Platz zu machen, die bis Mitte 2011 entstehen soll – sehr zum Ärger der Geschäftsmieter.

"Seit meine Chefin erfahren hat, dass sie das Geschäft räumen muss, hat sie zwei Herzinfarkte gehabt." Helmi Moser, Verkäuferin im ModePoint in der Karlsplatzpassage, ist niedergeschlagen. Denn die Stadt Wien sieht für den Durchgang nicht nur eine Generalsanierung vor. Auch die etwa 15 Kleinunternehmer müssen bis 30. September ihre Lokale räumen.

Die Stadtregierung will aus dem heruntergekommenen Karlsplatz, der vor allem mit Drogenhandel und Obdachlosigkeit assoziiert wird, einen „Wohlfühlraum“ machen – ohne Briefmarkengeschäft, Running Sushi und Trafikant. Nur McDonald's, Starbucks und Ströck dürfen bleiben. „Weil sie beim Verbreitern der Passage nicht im Weg stehen“, sagt Michael Zentner, Sprecher der Wiener Linien, denen die Karlsplatzpassage gehört.


Mieterproteste. Doch die Mieter sehen die Räumung nicht ein – nicht zuletzt, weil sie aus ihrer Sicht sehr kurzfristig passieren muss. Karoline Flieger, die 63-jährige Besitzerin von Vanity Schuhmoden, hat die Kündigung deshalb auch schon gerichtlich angefochten. Ein Ergebnis steht noch aus. Ihrer Meinung nach sind die Kündigungen rechtlich nicht gedeckt: Ihr Vertrag sehe eine Räumung nur dann vor, wenn es für „die Öffentlichkeit nötig“ sei – „etwa beim Bau einer Autobahn“, wie sie meint. In diesem Fall ginge es aber rein um ein Kulturprojekt. „Man hat uns im September 2008 keinen offiziellen Bescheid gegeben – erst im Juni 2009. Ein Ersatzlokal haben die mir auch noch nicht gezeigt.“ Die, das ist die Wiener SPÖ.

Der Vorsitzende des SP-Rathausklubs, Siegfried Lindenmayr, will die Vorwürfe aber nicht auf sich sitzen lassen: „Seit Herbst 2008 ist bekannt, dass es in der Karlsplatzpassage keine Geschäfte mehr geben wird.“ Der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds zeige den Mietern im Auftrag der Stadt Wien seit Monaten Alternativstandorte. Zwei Geschäfte in der sogenannten „Ladenstraße“ beim U-Bahn-Knotenpunkt stehen bereits leer.

Sterile Kulturpassage. Als „Wiener Nahverkehrsdrehscheibe schlechthin“ sieht Vizebürgermeisterin Renate Brauner den Karlsplatz. Deshalb soll hier ab Mitte 2011 den Wienern und den Touristen, eine helle, steril-moderne „Kulturpassage“ geboten werden. Die Gewinner des europaweit ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs sollen nun für mehr Platz sorgen: Die Passage wird auf acht Meter verbreitert – auf der Seite, auf der die Geschäftsleute ihre Lokale haben.

Mit farbigen Bodenmarkierungen – „Kulturleitlinien“ – möchte man eine bessere Orientierung erreichen. Und auch das Design wird rundum erneuert. „Das Grundthema unseres Planungskonzepts ist, das Thema der Kultur- und Musikhauptstadt Wien einzubauen“, sagt Andreas Gerner von der ARGE Kulturpassage Karlsplatz. Die Verbindung zwischen dem Platz und dem Opernrondeau werde von Glasflächen flankiert, die mit unterschiedlichen „Stimmungen und künstlerischen Aktivitäten“ bespielt werden.

Durch Oberlichtöffnungen im Gehsteig der Kärntner Straße erhält die Passage Tageslicht. In der Hauptpassage entsteht ein neues Informations- und Ticketbüro der Wiener Linien. Nicht zuletzt werden auch die Toilettenanlagen erneuert. Die Arbeiten kosten 21Millionen Euro und werden 2010 beginnen. „Der Karlsplatz soll hell, klar, angstfrei und freundlich werden“, so die Wiener SPÖ in einer Aussendung.

Kritik an dem Projektbleibt nicht aus: Die Wiener FPÖ spricht bei der Geschäftsräumung von „Arbeitsplatzvernichtung“ und will einen sofortigen Baustopp. „Die veranschlagten 21Millionen wären weit besser in ordentliche Therapieeinrichtungen investiert als in ein Pseudokunstprojekt“, so FPÖ-Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache. Die Grünen wollen zwar keinen Stopp, treten aber auch dafür ein, dass die Geschäfte bleiben dürfen. „Es ist im Rahmen des Projekts möglich, diese Geschäfte zu erhalten“, sagt Heidemarie Cammerlander, Sozialsprecherin der Wiener Grünen. Außerdem wünschen sich die Grünen Sozialräume in der Karlsplatzpassage, damit die Drogenkranken dort betreut werden können.


Auszug der Szene? „Der Karlsplatz schneidet bei den Beschwerdebriefen an die Wiener Linien äußerst schlecht ab“, so Sprecher Zentner. Ob die Glasplatten und Kunstinstallationen aber zu einem „Wohlfühlraum“ ohne Drogenszene führen werden? Die FPÖ etwa glaubt nur an eine temporäre Verlagerung der Szene. „Wir wurden in das Projekt eingebunden“, sagt Angelina Zenta von der Wiener Drogenkoordination der Stadt Wien. Die aktuelle Betreuungsstation werde nicht verlegt. Es würden so viele Streetworker im Einsatz sein wie benötigt.

All das kann die Mieter aber nicht trösten. „So einen Standort findet man nicht so schnell wieder. Ich bin seit meinem 14.Lebensjahr in der Passage“, sagt Schuhverkäuferin Flieger. „Man wird bei einer Miete von 5000 Euro zwar kein Millionär, aber man kann sich sehr gut davon ernähren. Wir haben sehr viele Stammkunden.“ Auch Moderverkäuferin Moser ist sich sicher: „Diesen Standort kann man auf keinen Fall ersetzen.“

Der umbau

Zirka 21 Millionen Euro
wird der Umbau kosten. Er beginnt 2010 und soll Mitte 2011 fertig sein.

Acht Meter
breit wird die Karlsplatzpassage. Etwa 15 Geschäfte müssen deshalb weichen.

Eine 70 Meter lange
Wand für Kunstinstallationen wird eingebaut.

Glasplatten, Oberlichtöffnungen
und Lichtlinien werden die neue „Kunstpassage“ dominieren. In der Hauptpassage entsteht ein Wiener- Linien-Zentrum. Zudem werden die Toilettenanlagen erneuert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2009)

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