„Womit beginnt denn Beethovens Fünfte?“

Rainer Bischof
Rainer Bischof(c) APA (GINDL Barbara)
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Am Sonntag wird der „Totentanz“ von Rainer Bischof im Musikverein aufgeführt. Mit der „Presse“ sprach der Komponist über das Erbe Schönbergs und die Kunst der Fuge, über Philosophie und die Bedeutung der Pause.

Am kommenden Sonntag realisiert das RSO Wien unter der Leitung seines Chefdirigenten, Cornelius Meister, für die Jeunesse ein ehrgeiziges Programm im Rahmen der Wiener Festwochen im großen Musikvereinsaal: Mahlers selten gespielter Siebenter Symphonie geht der „Totentanz“ von Rainer Bischof voran, ein Werk, das schon aufgrund seiner riesigen Orchesterbesetzung eine Ausnahmeerscheinung darstellt, nicht nur im zuletzt vor allem von Kammermusik beherrschten Œuvre Bischofs.

Angeregt vom „Füssener Totentanz“ von Herwig Zens, sei an seinem Werk lediglich die Schlussfuge pittoresk zu verstehen, sagt Bischof: „Wenn alle Toten der Welt tanzen: Das ist komponiertes Chaos.“ Die Komposition basiert auf einer Zwölftonreihe Arnold Schönbergs, die dieser für eine Fuge notiert hat, die unter dem grausigen Eindruck der sogenannten „Reichskristallnacht“ entworfen wurde. Bischof hat dieses Fragment seines „geistigen Großvaters“ für Klaviertrio gesetzt, um es spielbar zu machen.

Der „Totentanz“ endet übrigens versöhnlich: „Ich geniere mich nicht, am Schluss Variationen über ,Komm, süßer Tod‘ einzubauen“, sagt Bischof. Er lebt sein Leben seit seinem Rückzug von allen offiziellen Funktionen – nach Jahren als Intendant der Wiener Symphoniker – ziemlich „ungeniert“, um dieses Wort aufzugreifen. „Ich werde nächstes Jahr 70, da klopft Gevatter Tod schon kräftig an,“ spielt Bischof auf schwere Erkrankungen an, die er zu überwinden hatte: „Was die Medizin kann, ist sensationell. Was die Bildung heute nicht kann, ist auch sensationell. Und was die Politik verbricht, ist noch sensationeller“, konstatiert der studierte Philosoph, der seine diesbezüglichen Gedanken in einem dicken Buchmanuskript geordnet hat, das bald vollendet sein dürfte: „Ich bin bereits beim Vorwort. Das ist ja immer das letzte Kapitel, das ein Autor in Form bringt.“

„Alles von Plato bis Heidegger“

Die drei großen Abschnitte des Opus magnum erhalten Titel in Anspielung an die Satzüberschriften von Mahlers Dritter Symphonie: „Was mir die Liebe erzählt – Was mir die Natur erzählt – Was mir die Kunst erzählt“ und bündeln den „Versuch eines humanistischen Manifests, einer Zusammenfassung der europäischen Philosophie, bezogen auf den Begriff vom Menschen.“ Das sei „so gesehen gar nichts Neues, aber es ist der Versuch, alles von Plato bis Heidegger und meinem Lehrer Erich Heintel zusammenzufassen. Der Sinn des Buches besteht darin, dem Leser eine Denkgrundlage zu geben für die Lebensbewältigung unseres Daseins im Sinne einer Fundamentalphilosophie.“

Eine Schärfung des Blicks hätten wir bitter nötig, meint Bischof: „Wir sind heute, 2016, noch nicht auf dem geistigen Niveau eines Kant, eines Schiller, eines Hegel, eines Goethe. Wir sind für ,Freude, schöner Götterfunken‘ nicht bereit, verstehen nicht, worum es geht. Wir sind in vielem weit hinter Beethoven zurück.“ Angesichts dieses „noch nicht“ sei es wichtig, „die Hoffnung nicht aufzugeben: Wer die Hoffnung aufgibt, gibt sich selbst als Mensch auf.“

Als Triebkräfte für den Verfall, den er konstatiert, sieht Bischof die „Verwerfungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem den Nationalismus“. „Die Folgen dieses Nationalismus, der Antisemitismus und radikale Formen wie Sowjetstaat und Nationalsozialismus“, seien in ihren Auswirkungen bis heute nicht ganz überwunden. „Vor allem dürfen wir nicht so tun, als hätten wir seit 1945 schon wieder alles gelernt. Auch die Kunst ist ja davongelaufen“, meint der Komponist, der in der Musik nicht zuletzt einen technischen, einen handwerklichen Rückfall ortet: „György Ligeti hat noch gesagt: Das Einzige, was ein Schüler bei mir können muss: eine Fuge schreiben.“

Solches Grundlagendenken sei völlig abhandengekommen. „Warum“, so fragt Bischof mit Verweis auf sein auch in vielen Jahren als Lehrer kultiviertes Komponistenhandwerk, „komponiert heute außer mir niemand mehr zwölftönig?“ Die Antwort gibt er sich selbst: „Weil es so schwer ist!“

Immerhin – apropos Hoffnung – sieht Bischof auch Lichtblicke: „Am Wochenende habe ich im Radio die Uraufführung der Zweiten Symphonie von Thomas Larcher gehört. Ein fantastisches Stück.“ Wenn auch alles andere als zwölftönig. Der Horizont des Musikers Bischof ist weit, er hat sich auch stets als Lehrer bemüht, die Kreativität seiner Studenten ohne Reglementierungen zu fördern: „Von denen sitzen jetzt viele in verantwortungsvollen Positionen in Spanien, in Argentinien, in Italien, einer lehrt in Sarajewo.“

An den jungen Köpfen liege es nicht, es fehle vielmehr an der rechten Pädagogik und am Bewusstsein für übergreifende geistige Strukturen. „Ich bin mit allen Kompositionsstudenten ins Museum gegangen. Wir haben philosophische Fragen diskutiert.“ Und auf musikalische Probleme anzuwenden versucht: „Womit“, fragt Bischof, „beginnt denn Beethovens Fünfte?“ Mit dem berühmten „Schicksalsmotiv“? Nein: „Mit einer Achtelpause! Das ist wichtig! Nicht Stille; eine Pause! Das ist ein geistiges Moment, das es in der Natur nicht gibt.“

ZUR PERSON

Rainer Bischof, geboren 1947 in Wien, Komponist, Musikmanager und Philosoph, studierte Komposition beim Schönberg-Schüler Hans Erich Apostel. Er war u. a. Generalsekretär der Wiener Symphoniker und Präsident der Gustav Mahler Gesellschaft. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

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