Gibraltars Angst vor dem Brexit

Gibraltar
Gibraltar(c) REUTERS (JON NAZCA)
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In der britischer Kronkolonie wollen 90 Prozent für Verbleib stimmen.

Madrid. Über die Bewohner der Kronkolonie Gibraltar wird gesagt, sie seien britischer als die Briten. Doch in einem Punkt unterscheiden sich die Gibraltarer: Von einem EU-Austritt wollen die Menschen auf dem 400 Meter hohen „Rock“ nichts wissen. Annähernd 90 Prozent wollen laut Umfragen gegen den EU-Austritt stimmen. Das Votum der etwa 23.000 Stimmberechtigten in der Minikolonie, rund 0,05 Prozent aller britischen Wahlberechtigten, wird das Gesamtergebnis zwar kaum beeinflussen. Die Stimmung auf dem Affenfelsen wirft aber ein Licht darauf, wie wirtschaftliche Vorteile die Liebe zu Europa beflügeln.

Gibraltars Premier, Fabian Picardo, hat es nicht schwer, die Mehrheit seiner Bürger von der EU zu überzeugen. Denn die Kolonie und ihre 32.000 Bewohner leben vom relativ freizügigen Handel und Personenverkehr mit dem spanischen EU-Nachbarn. Rund 10.000 Spanier kommen jeden Tag zum Arbeiten über die Grenze. Knapp zehn Millionen Tagestouristen fallen pro Jahr in die mehrwertsteuerfreie Kronkolonie ein, um Tabak, Alkohol oder Parfum einzukaufen – auch wenn vieles in Gibraltar nicht billiger ist als in Spanien. Tausende Briefkastenfirmen, etwa von Finanzdienstleistern, Immobilienfirmen oder der Onlinespiele-Industrie lassen ebenfalls die Kassen klingeln. Was dem spanischen Fiskus nicht gefällt, denn die Gewinne werden in Gibraltar mit viel niedrigeren Sätzen versteuert.

Dass dieses Finanzparadies nach einem Brexit trocken gelegt werden könnte, deutete Spaniens Außenminister José Manuel García-Margallo an. „Am Tag danach“ werde man die Souveränität Gibraltars auf den Tisch bringen, sagte er. Madrid fordert schon lang, dass Gibraltar, das vor drei Jahrhunderten von Großbritannien erobert wurde, wieder zu Spanien gehören soll. Die 6,5 Quadratkilometer große Halbinsel sei „der letzte koloniale Überrest in Europa“. Man werde über eine „geteilte Souveränität“ Gibraltars sprechen – also eine gemeinsame Verwaltung durch Spanien und Großbritannien. Ein alter Vorschlag Madrids, der von den Gibraltarern 2002 mit 98 Prozent abgeschmettert worden ist. Entsprechend erteilte Picardo, Chef der sozialistischen Labour-Partei, dem neuen spanischen Vorstoß eine klare Absage: „Die britische Souveränität über Gibraltar steht nicht zum Verkauf – Gibraltar wird niemals spanisch sein.“

Doch die Spanier wissen, wie man die Gibraltarer unter Druck setzt: Immer wenn es in den schwierigen Beziehungen knisterte, haben spanische Zöllner mit schikanösen Kontrollen an der einzigen Landesgrenze den Verkehr mit der Koloniehalbinsel lahmgelegt. Bis Brüssel unter Verweis auf die EU-Verträge zur Ordnung rief. Doch nach Ausscheiden Großbritanniens und Gibraltars aus der EU hätte Brüssel in diesem Konflikt nicht mehr viel zu melden. (ze)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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