Mr. Johnson wollte schon 1605 alles sprengen

Guy Fawkes Maske
Guy Fawkes Maske(c) APA/AFP/JAVIER SORIANO
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Was hat der Gunpowder Plot mit dem Brexit zu tun? Mehr, als Europa lieb sein kann. Das Misstrauen gegen den Kontinent war schon zur Zeit Shakespeares ausgeprägt. Der hat in „King Lear“ gezeigt, wozu mutwillige Trennung führt.

Black Friday. Ein schlechter Tag für den Klub der Anglophilen im Gegengift-Team. Nach dem knappen Sieg der Brexit-Befürworter auf der demnächst eher einsamen als großartig isolierten Insel müssen sich ihre Liebhaber fragen, ob jetzt der Kontinent nur abgeschnitten ist oder gar selbst inkontinent zu werden droht, um in südlicher und östlicher Grandezza zu zerfallen. Aber solch trübe Gedanken sollen andere Kolumnen wälzen, wir beschränken uns darauf, sentimentale Erinnerungen an „England, My England“ zu wecken. Was macht die Briten denn so eigen? Zwei Beispiele über Union wie Verrat müssen reichen.

Vor vielen Jahren, die konservative EU-Befürworterin Margaret Thatcher hatte es eben geschafft, in die Downing Street Nr. 10 einzuziehen, war ich Hilfslehrer im liebenswürdig abgesandelten London, als Punk regierte, war begeistert von der britischen Lebensart mit ihren Skurrilitäten. Die seltsamste Erfahrung gab es an einem milden Herbsttag. Kinder verkleideten sich als strenge Puritaner, warfen mit Knallkörpern und skandierten dazu: „Remember, remember the fifth of November!“ Ein Kollege in der Schule, den man nach dem politischen Wechsel von links nach rechts garantiert als subversiv einschätzen konnte, trug ein T-Shirt mit dem Porträt eines Herrn, der einem Shakespeare-Stück entsprungen schien. Darunter stand: „Guy Fawkes – The Only Man Ever To Enter Parliament With Honest Intentions“.

„Armes altes England!“

Ich erkundigte mich, was die Böller bedeuteten, worin die ehrlichen Absichten dieses Mr. Fawkes bestanden. Welch abgründige Ironie! Die Briten feiern seit 1605, dass der Typ vergeblich versucht hat, das Parlament in die Luft zu sprengen. Allerdings wird dabei nicht immer ganz klar, ob das Scheitern bejubelt wird. Die Kinder singen:

Guy Fawkes, Guy Fawkes,

'Twas his intent.

To blow up the King and the Parliament.

Three score barrels of powder below.

Poor old England to overthrow.
Der neue englische König, James I. (zuvor herrschte er nur in Schottland), folgte 1603 auf Elizabeth I., die letzte Tudor-Königin. Die Ära der Stuarts begann, England und Schottland waren unter einem Herrscher vereint, als Symbol dafür stand der Union Jack. Doch die Gemeinschaft blieb lang fragil in dieser von Religionskonflikten bestimmten Übergangszeit. Als James für den 5. November 1605 das gemeinsame Parlament einberief, verschworen sich einige Katholiken zum Gunpowder Plot, um den Monarchen zur Eröffnung der Sitzung in Westminster samt Hofstaat und den Großen des Landes, vor allem aber den verhassten Schotten, in die Luft zu jagen. Guy Fawkes wurde in einem Lagerraum im Keller auf frischer Tat ertappt, ehe er die Lunten zünden konnte. 36 Fässer mit Schwarzpulver hätten einen gigantischen Knall ergeben, durch den Europas Geschichte nachhaltig verändert worden wäre. Der Mann aus York, der als Jugendlicher zum Katholizismus übergetreten war, als junger Mann im Heer des Habsburger Erzherzogs Albrecht VII. in den Niederlanden gegen Protestanten kämpfte, hatte keine Chance. Der König war gewarnt worden. Die Hatz auf Katholiken begann.

Praktischerweise konnte sich James auch vieler anderer Gegner entledigen. Das Misstrauen war immens – gegen den Kontinent, Frankreich, die Papisten und insbesondere die Jesuiten, die das United Kingdom in den Schoß der katholischen Kirche zurückführen wollten. Der gefasste Attentäter verwendete vor dem Terrorversuch übrigens einen Tarnnamen. Er nannte sich Johnson. Für ihn gab es keine Gnade, er wurde gehenkt. Dem Ausweiden bei lebendigem Leib entging er, weil er beim Hochziehen der Schlinge vom Podest sprang und sich so das Genick brach. Das Königreich war gerettet, bis zum nächsten Bürgerkrieg, die Vorbehalte gegen Rest-Europa erwiesen sich als dauerhaft.

Es blieb einem anderen Verschwörer namens Johnson vorbehalten, einem Tory, gut 410 Jahre später, geistigen Sprengstoff im Keller einer anderen Union zur Explosion zu bringen. Wer weiß, vielleicht reißen „Boris the Menace“ und seine Mitverschwörer damit aber nicht die EU, sondern das Königreich auseinander. Wieder geht es um Schottland.

Zum zweiten Beispiel, fast noch dunkler als Schwarzpulver: 1605 begann ein englischer Dramatiker damit, ein Stück zu vollenden, das illusionslos die Zerreißprobe eines Landes darstellt. William Shakespeares „The Tragedy of King Lear“ handelt davon, wie ein Herrscher voll Hybris sein Reich unter zwei machtgierigen Töchtern aufteilt und die dritte, ihm gut gesinnte Tochter verbannt. Sie geht nach Frankreich. Shakespeares gewaltiges Drama steckt, wenn man es genau liest, voller Anspielungen auf den Gunpowder Plot. Der Literaturwissenschaftler James Shapiro hat das unlängst in vielen Details nachgewiesen. Sein Buch über ein außerordentliches Jahr trägt den Titel „1606. William Shakespeare and the Year of Lear“. Die Tragödie wurde am 26. Dezember 1606 bei Hofe aufgeführt. Thematisch und zeitlich nah sind zudem noch „Macbeth“ sowie „Anthony and Cleopatra“. Treason – Verrat – dominiert diese Dramen, in denen Herrscher entmachtet, Könige getötet werden. Es sind Manifeste gegen Mutwillige und Verantwortungslose.

Das letzte Wort soll deshalb der vielleicht nächste Souverän haben. Mancher Böse ist tot, Cordelia ist tot, Lear ist tot, Kent geht auf Reisen. Es spricht am Ende Edgar, vor dem allgemeinen Abgang zu einem Totenmarsch: „Den Druck der trüben Zeit muss man nun tragen;/was man fühlt, sprechen, nicht, was man sollte, sagen...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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