Delegierte feiern ihren neuen Vorsitzenden

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Christian Kern bekommt zum Start einen Jubelparteitag. Die Sozialistische Jugend verzichtet sogar auf ihre traditionellen Protestaktionen gegen den Parteichef.

Es gibt Traditionen in der 137-jährigen Geschichte der SPÖ, die sich nicht verändern lassen. Zum Beispiel: Ein neuer Vorsitzender bekommt einen Jubelparteitag als Einstandsgeschenk. Das war auch bei den beiden Vorgängern von Christian Kern, Alfred Gusenbauer und Werner Faymann, der Fall: Beide wurden von der Basis frenetisch gefeiert, ehe das „Gesudere“ einsetzte (©Gusenbauer) oder der Vorsitzende bei der Wahl gnadenlos gestrichen wurde (Faymann).

Auch Christian Kern kann sich zum Start auf die Unterstützung der Genossen verlassen. „Wir wären ja dumm, wenn wir das nicht so machen“, sagt ein Delegierter aus Wien. „Der ganze Aufwand davor wäre dann sinnlos gewesen.“ Ein SPÖ-Mitglied aus dem zweiten Wiener Gemeindebezirk deklariert sich als Fan des früheren SPÖ-Chefs Franz Vranitzky und sieht Kern in dessen Fußstapfen. Erstmals seit Jahren habe er wieder den Eindruck, dass ein Parteichef da sei, dem es nicht nur darum gehe, irgendwie wieder Bundeskanzler zu werden, sondern der Politik aktiv gestalten wolle. „Die letzten Jahre bin ich gar nicht mehr auf die Parteitage gegangen, das hat mich nicht mehr interessiert.“

Die Unterstützung der Basis für den neuen Vorsitzenden geht so weit, dass die Sozialistische Jugend auf eine andere lieb gewonnene Parteitradition verzichtet: Sie startet diesmal keine eigene Protestaktion, sondern verteilt lediglich eine Sonderausgabe ihrer Parteizeitung „Trotzdem“. Der Inhalt: „Unsere fünf Punkte an den neuen Parteivorsitzenden“. So bleibt es der Umweltorganisation Global 2000 vorbehalten, aktionistische Akzente zu setzen. Sie wendet sich vor den Toren der Halle D der Wiener Messe gegen das Freihandelsabkommen TTIP – und stößt damit wohl bei vielen SPÖ-Funktionären auf offene Ohren.


Vorbild Wien. Bei aller Geschlossenheit für den neuen Parteichef bleiben die Bruchlinien in der SPÖ weiterhin bestehen. Und die Frage, wie man mit der FPÖ umgehen und welche Linie man beim Thema Asyl verfolgen soll, ist auch unter den Delegierten umstritten. Mehr Menschlichkeit gegenüber Asylwerbern wünscht sich eine junge Funktionärin aus Wien. Diese Haltung würde sich auch aus strategischen Gründen lohnen. Immerhin habe die SPÖ damit die Gemeinderatswahl in Wien im vergangenen Jahr gewonnen. Und auch der grüne Präsidentschaftskandidat, Alexander Van der Bellen, habe damit punkten können.

Die von der Regierung verfügte Obergrenze für Asylanträge sei schon gut und sinnvoll, meint dagegen ein Parteimitglied aus der Steiermark. Man müsse alle Probleme ansprechen und dürfe auch nichts beschönigen. Und man müsse darauf achten, welche Stimmung es in der Bevölkerung gebe. Vor allem bei Sozialleistungen für Flüchtlinge gebe es Skepsis. Schließlich hätten diese nichts in das Sozialsystem eingezahlt.

Die Änderung der Parteilinie gegenüber der FPÖ, die beim nächsten Parteitag beschlossen werden soll, sorgt ebenfalls für kontroversielle Standpunkte. Statt des bisher bestehenden Verbots, Koalitionen mit den Freiheitlichen einzugehen, soll es dann bekanntlich einen „Kriterienkatalog“ geben, nach dem in jedem einzelnen Fall entschieden wird, ob eine Koalition möglich ist. „Warum soll man nicht Koalitionen mit vernünftigen Kräften auf Landes- oder Gemeindeebene eingehen?“, fragt ein Funktionär aus dem niederösterreichischen Schottwien. Notwendige Voraussetzung: Es gibt eine Abgrenzung zu ganz rechts.

Andere wollen weiterhin eine strikte Abgrenzung zur freiheitlichen Partei und damit eine Fortsetzung der bisherigen Parteilinie. Der Wiener Nationalratsabgeordnete Kai Jan Krainer bringt die Position auf den Punkt: „Wenn ich einen Damm haben will, dann muss ich einen Damm bauen und nicht einen Kanal.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2016)

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