Die EU ist nicht das Problem

Ich habe vor 20 Jahren gegen den Beitritt gestimmt. Dennoch stehe ich zur EU und plädiere für eine “Koalition der Willigen„.

Die EU und ich – das war alles andere als Liebe auf den ersten Blick. So wie sehr viele Grüne habe ich vor gut 20 Jahren gegen den EU-Beitritt Österreichs gestimmt. Weil sie uns zu sehr von einseitigen wirtschaftlichen Interessen getrieben, zu wenig demokratisch legitimiert gewesen ist. Nach der für uns verlorenen Abstimmung haben die Grünen und ich uns aber nicht schmollend im Anti-EU-Eck verschanzt, sondern wir begannen von innen her dasjenige in der EU zu reformieren, was wir von außen kritisiert haben. Einiges ist uns gelungen, vieles muss noch besser werden.

Das ist aber der entscheidende Unterschied zwischen den EU-Kritikerinnen und Kritikern, wie wir es waren und den EU-Gegnerinnen und -Feinden, egal, wo in den Mitgliedsstaaten. Unsere Kritik zielt auf Reform und Verbesserung. Die EU-Gegner wollen das Friedenswerk, die Währungsunion, die hohen Sozial-, Umwelt-, Menschenrechtsstandards – alles Dinge, um die wir in vielen anderen Teilen der Welt beneidet werden – zerstören. Wir wollen gemeinsam weitergehen, sie wollen gegeneinander zurücktaumeln in die brandgefährlichen Nationalismen des vergangenen Jahrhunderts.

Zukunft und Angst. Das Brexit-Referendum hat die Frontstellung wieder gezeigt: Die Gräben verlaufen quer durch unsere Gesellschaften: tendenziell zwischen Jung und Alt, zwischen höherem und weniger hohem Bildungsabschluss und Einkommen, zwischen Stadt und Land, aber vor allem zwischen Zukunftszuversicht und Angst.

Diese Spaltung der Gesellschaften führt jetzt zum ersten Mal zu einem Abspalten eines Landes vom gemeinsamen Ganzen. Aber glaubt irgendjemand der Exit-Plakatierer, dass damit auch nur eines der sozialen oder bildungspolitischen oder wirtschaftlichen oder ökologischen oder Migrations- oder Infra-Strukturprobleme verbessert, geschweige denn gelöst werden kann? Diese Probleme sind zum einen hausgemacht und werden zum anderen durch die sprichwörtliche Globalisierung angetrieben und verstärkt.

Die EU ist nicht das Problem, die EU ist die Lösung und könnte noch viel mehr Lösung sein – wenn wir, wenn vor allem die Regierungen der Mitgliedsstaaten, sie ließen. Wie gesagt, die EU in ihrer konkreten Gestaltung war bei mir keine Liebe auf den ersten Blick. Sie war und ist eine Obwohl-Liebe: Obwohl ich weiß, dass die EU nicht perfekt ist, nie sein wird (kein politisches System, kein Staat ist das!), stehe ich zu ihr, liebe ich die Fundamente, auf denen sie gebaut ist, werde ich sie gegen jene, die sie zerstören wollen, verteidigen. Und obwohl ich zu dieser gemeinsamen Union, inklusive gemeinsamer Werte und Grundrechtecharta stehe, möchte ich, müssen wir sie besser, effektiver, vor allem sozialer und ökologisch nachhaltiger machen, und wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftsunion, die diesen Namen verdient.

Deswegen plädiere ich wieder für einen Europäischen Konvent mit breiter Beteiligung, und dann eine „Koalition der Willigen“, die unser gemeinsames Europa stärken und voranbringen wollen.

Die Grüne Ulrike Lunacek ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2016)

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