Baugruppen: "Wir wollten schon aussteigen"

Wien Aspern Seestadt
Wien Aspern SeestadtDie Presse/Clemens Fabry
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Baugruppen sind im Moment Teil jedes Stadtplanungsprojekts. Doch bevor sich die Bewohner über die eigene Wohnung freuen können, braucht es viel Engagement und gute Nerven.

Am Anfang hat er sich mit Händen und Füßen gegen die Idee gewehrt. „Ich bin eher ein Einzelgänger“, sagt Norman Shetler, den manche auch als Geschäftsführer des Wiener Gartenbaukinos kennen. Außerdem war er der Ansicht, dass man in Wien nur im Altbau und innerhalb des Gürtels wohnen kann. „Das typische Bobo-Ding. So sind wir halt“, sagt der Mann mit der Brille und dem Schal um den Hals und schmunzelt. Die Neugierde habe ihn schließlich dazu gebracht, mit seiner Frau, Jutta, doch zu einem Baugruppentreffen zu gehen. Da habe er bemerkt, dass seine bisherigen Ansichten „ein Blödsinn“ gewesen seien. „Wenn ich einen Neubau nach meinen Vorstellungen bauen kann und das Altbaugefühl dabei habe, dann ist das doch besser.“ Damit sei die Sache klar gewesen. Norman Shetler und seine Frau beschlossen gemeinsam mit mehr als 50 anderen Wienern, ein Haus am Helmut-Zilk-Park im Sonnwendviertel zu bauen.

Baugruppe heißt dieses Konzept, und im Moment gibt es kein Stadtentwicklungsprojekt in Wien, in dem es nicht vorkommt. Sei es die Seestadt Aspern, das Sonnwendviertel oder die Bauten beim ehemaligen Gaswerk Leopoldau. Gemeinsam haben sie, dass die Bewohner miteinander (ob frei finanziert oder gefördert) das Haus bauen und damit quasi die Rolle des Bauherrn übernehmen. Dadurch erhofft sich die Stadt eine Belebung des Grätzels durch engagierte Bewohner und innovative Architektur, außerdem zufriedenere Wiener, die die Häuser und Wohnungen nach ihren Wünschen gestalten können.

Dort wo Shetlers Baugruppenhaus einmal stehen wird, ist derzeit noch eine Ebene aus Schotter, Matsch und Wiesenblumen. Der Einzugstermin ist für Herbst 2018 geplant. Einmal fertig, wird das Projekt mit 3500 m2 Brutto-Grundfläche, davon 2700 m2 Wohnfläche, alle Stückeln spielen. Zwei Häuser werden dann auf einem Sockel stehen und 29 Wohnungen beherbergen. Die meisten so geplant, dass die Wohnräume im Schnitt 3,60 Meter hoch sind. Also Altbauhöhe. Im oberen Stock wird es eine Gemeinschafsterrasse und -küche geben. Ebenso eine Sauna und ein Gästezimmer für alle. Und das für im Schnitt 4000 Euro pro Quadratmeter. Das kostet ein sanierter Altbau auch.

Grätzel mitgestalten. Im Erdgeschoß sind zwei Gewerbeflächen für Lokale geplant. Kern des Projekts ist der Gemeinschaftssaal, der Grätzelmixer genannt wird. Er wird von den Bewohnern bespielt und soll auch den Anrainern zugänglich sein. Durch Tanz- und Pilateskurse – was den Bewohnern und Anrainer halt so einfällt. Die Möglichkeit, das Grätzel mitzugestalten, war auch der Grund, warum die Baugruppe den Zuschlag von den ÖBB bekommen hat. Und warum Architekt Arnold Brückner mit seiner Partnerin und Lebensgefährtin das Projekt ins Leben gerufen hat. „Die Qualität ist eine ganz andere“, sagt Brückner, als er gut gelaunt über die Baustelle geht. „Da geht es um die Nachbarschaftsentwicklung im ganzen Quartier.“ Er wird, ebenso wie Shetler, eine 100-m2-Wohnung beziehen.

Bis es so weit ist, müssen die Baugruppenteilnehmer (insgesamt sind noch fünf Wohnungen frei) allerdings noch einige Hürden überwinden. Ein Haus gemeinsam zu bauen, das kostet Zeit, Engagement und Nerven. „Man muss das Vertrauen haben, dass die Gruppe die richtigen Entscheidungen trifft“, sagt Shetler. Das klinge zwar etwas „kommunistisch“ und falle manchen schwer, habe aber seinen Sinn.

Denn auch wenn der Vorteil einer Baugruppe ist, dass man Haus und Wohnung nach seinen Wünschen gestalten kann, müssen Grundsatzentscheidungen in der Gruppe getroffen werden. Von der Bespielung der Lokale bis zur Aufteilung des Gartens über die Zimmerhöhe und die Finanzierung des Hauses. Solche Entscheidungsfindungen seien „irrsinnig anstrengend“, sagt Shetler. Vor allem, weil die Wohnungen nachher Eigentum sind und die Projektpartner die zukünftigen Nachbarn. Eine Partei sei im Lauf des Prozesses schon ausgestiegen. „Auch wir wollten schon mehrmals aussteigen“ sagt Shetler. Die Zwischenerfolge und die Aussicht auf das Ergebnis hätten ihn und seine Frau freilich davon abgehalten. „Wenn du es schaffst, durch den Morast, dann ist das einfach schön“, sagt Shetler. Und man lerne irrsinnig viel, fügt Brückner hinzu.


Jeder bringt sich ein. Auch weil die Gruppe gemeinsam auf mehr Ideen komme als ein Bauherr allein. „Es ist nicht immer leichter, aber es ist besser“, sagt Brückner. Ein Vorteil seien die unterschiedlichen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder, vom 23-jährigen IT-Experten bis zum 65-jährigen Universitätsprofessor, die sich alle je nach Talent einbringen würden. Das sei auch die Grundvoraussetzung für neue Mitglieder, die aufgenommen werden. „Man muss Interesse an der Idee haben“, sagt Brückner. Bereit sein, Zeit (die einem nicht bezahlt wird) zu investieren. Immerhin müsse nachher auch der Raum bespielt werden. Nach einem Erstgespräch und der Probeteilnahme an Baugruppentreffen sehen Interessierte und Baugruppe, ob sie miteinander können. Denn hier müssen nicht nur neue Nachbarn zusammenfinden, sondern Mitstreiter, die gemeinsam ein Haus bauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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