Venezuela: Im Ölstaat greift der Hunger um sich

Seit dem Tod von Präsident Hugo Chávez 2013 (siehe Porträt an der Wand) zerbröckelt „seine“ bolivarische Republik zusehends.
Seit dem Tod von Präsident Hugo Chávez 2013 (siehe Porträt an der Wand) zerbröckelt „seine“ bolivarische Republik zusehends. (c) REUTERS
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Die Wirtschafts- und Versorgungskrise ist völlig außer Kontrolle. Hungernde Bürger schlachten bereits Zootiere, und die Regierung ordnet Zwangsarbeit in der Landwirtschaft an.

Wien. Das linkspopulistische „bolivarische“ Regime Venezuelas, das der 2013 verstorbene Präsident, Hugo Chávez, 1998 begründet hat, hat das ölreiche Land wirtschaftlich in die Katastrophe und an den Rand des Bürgerkriegs geführt. Zudem herrscht eine Versorgungskrise. Und die grimmigen Zeichen an der Wand mehren sich: Im Caricuao-Zoo von Caracas wurden am Mittwoch Reste eines Pferds gefunden. Eindringlinge hätten es in der Nacht getötet, zerlegt und das Fleisch mitgenommen, teilte die Staatsanwaltschaft in Caracas mit. Wahrscheinliches Motiv: Hunger.

Tatsächlich schlägt die Versorgungskrise in dem an sich gut entwickelten und einst reichen 31-Millionen-Land auf menschliche Grundbedürfnisse durch. Selbst Lebensmittel werden knapp und unerschwinglich teuer, weshalb auch unter Regierungsanhängern der Groll auf Präsident Nicolás Maduro wächst. In seinem Land, das neben Saudiarabien und Kanada die größten Ölreserven der Welt hat, gehen sogar Krankenhäusern die Medikamente aus. Es herrschen Rezession, eine der höchsten Inflationsraten der Welt und Devisenmangel, der Importe erschwert.

Die Grenzen werden gestürmt

Überall stehen die Menschen Schlange. Die Regierung musste zuletzt die Grenze zum ungeliebten Nachbarn Kolumbien öffnen. Vor gut einem Jahr ließ Maduro sie sperren, um Schmuggel und Eindringen von Paramilitärs zu stoppen. Nun stürmen Venezolaner Grenzstädte wie Cúcuta und La Parada und kaufen etwa Reis, Mehl, Klopapier und Windeln ein.

Die Kontrolle über die Versorgung soll nun vom Militär übernommen werden. Die Linksregierung, deren Politik noch vor nicht allzu langer Zeit auch Anhänger unter prononciert Linken im Ausland bis hin nach Österreich fand, ordnete etwa die Besetzung der Kimberly-Clark-Fabrik an. Der US-Hygieneartikelkonzern hatte wegen fehlender Rohstoffe etwa für Klopapier die Produktion gestoppt. Maduro ließ den Betrieb, entsprechend reduziert, wieder aufnehmen. Aufgrund des ausgerufenen Wirtschaftsnotstands kann der Staat Produktionsstätten übernehmen, um die Grundversorgung zu decken oder das zumindest zu versuchen. Maduro spricht von einem „Wirtschaftskrieg“, den kapitalistische Firmen und andere Gegner, etwa die USA, gegen Venezuela führten.

Folge sozialistischer Wirtschaft

Doch die Gründe liegen tiefer. Das fruchtbare Venezuela importiert mehr als 80 Prozent des Lebensmittelbedarfs. Chávez hatte Ende der 1990er-Jahre für die meisten Nahrungsmittel Preiskontrollen verfügt, womit die inländische Produktion einbrach. Lang spülten Ölexporte genug Devisen herein, aber durch den Verfall des Ölpreises können Importe und öffentliche Ausgaben immer weniger finanziert werden. Maduros Versuch, das Volk für Eigenanbau und Hühnerzucht zu begeistern, scheiterte. Per Erlass verpflichtet er nun Bürger zur Arbeit in der Landwirtschaft: Öffentliche und private Firmen müssen Personal dafür abstellen, wenn Behörden es verlangen.

An der Nahrungsknappheit sei auch der Schwarzmarkt schuld, heißt es. Bachaqueros, Schwarzmarkthändler, profitieren von der Krise und Inflation. Auf dem Schwarzmarkt kostet – aktuell – ein Dollar bis zu 1000 Bolivares, offiziell sollten es zehn sein. Ein Kilo Zucker kostet im Supermarkt (noch) 40 Bolivares, auf dem Schwarzmarkt 3500. Viele Venezolaner leben bereits vom Schwarzmarkthandel.

2015 führte Maduro ein Kontrollsystem an Kassen der staatlichen Supermärkte ein, um den Schwarzmarkt einzudämmen. Die Endziffer des Personalausweises bestimmt die Tage, an denen man einkaufen darf. Verschärft wurde die Maßnahme durch ein Fingerabdrucksystem, um Einkaufen in mehreren Geschäften am selben Tag zu verhindern. Kritiker werfen aber auch der Regierung vor, Lebensmittel en gros auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. „Der Staat ist der erste Bachaquero“ sagt der Banker German García Velutini.

Erst seit Juli funktioniert übrigens die Stromversorgung wieder halbwegs normal. Eine schwere Dürre hatte über Monate die Stromerzeugung der Wasserkraftwerke, die 60 Prozent des Strombedarfs liefern, erschwert. Um Energie zu sparen, wurde im April die Arbeitswoche im öffentlichen Dienst auf zwei Tage gekürzt, Schulen blieben freitags geschlossen.

Maduro droht Amtsverlust

Das bürgerliche Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democrática könnte bei einem Referendum, das faktisch auf Maduros Absetzung hinausläuft und das es noch für heuer durchsetzen will, siegen. Die Sache ist juristisch komplex: Geht das Referendum noch heuer zugunsten der Opposition aus, folgt laut Verfassung eine Neuwahl, die Maduro wohl verlieren dürfte. Findet das Referendum aber nach dem Jahreswechsel statt, würde er bei einer Niederlage automatisch von seinem Vize, Aristóbulo Istúriz, abgelöst. Die nächsten regulären Wahlen fänden erst Ende 2018 statt – in einem Land, über dessen Zustand man dann nur spekulieren kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2016)

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