Angesichts des Gebietsstreits mit China im Südchinesischen Meer zeigt Hanoi Stärke. Für eine größere Auseinandersetzung zur See mit China ist Vietnam aber zu schwach.
Im glimmenden internationalen Konflikt um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zeigte zuletzt auch Vietnam Stärke: Vietnamesische Marineinfanterie und Flotteneinheiten haben vor kurzem ein Manöver abgehalten, bei der es unter anderem um die Besetzung bzw. ausdrücklich "Rückeroberung" einer Insel ging.
Der TV-Sender des Militärs strahlte vor Tagen einen Bericht über die Übung aus. Beobachter erkannten dabei mindestens zwei große Landungsschiffe der "Polnocny"-Klasse, aus denen Marines, leichte Panzer PT-76 und gepanzerte Mannschaftstransporter BTR-60PB an einem Strand anlandeten. Luftunterstützung und Unterstützung durch Schiffsartillerie konnten nicht ausgemacht werden.
Nach Schiedsspruch in Den Haag
Wann und wo genau diese Übung stattfand, gab der Bericht nicht an. Beobachter vermuten aber, sie habe nach dem 12. Juli stattgefunden: Da hatte der Ständige Internationale Schiedshof in Den Haag (Niederlande) auf eine Klage der Philippinen gegen die Volksrepublik China hin einen grundsätzlichen Schiedsspruch verkündet. Demnach sind die enormen Gebietsansprüche Chinas im Südchinesischen Meer - es reklamiert etwa 85 bis 90 Prozent davon für sich - illegal. Der Ausbau einzelner flacher Korallenriffe, Sandbänke und Mini-Inseln darin zu regelrechten Festungen verletze das Seerecht und könne keinesfalls eine 200-Seemeilen-Zone ringsum als Ausschließliche Wirtschaftszone begründen.
China reklamiert seine Ansprüche vor allem mit "historischen" Rechten, etwa, weil chinesische Fischer dort seit Äonen tätig seien und das ganze Seegebiet auf uralten Landkarten als unter chinesischer Oberhoheit stehend erscheint. Die Schiedrichter indes hielten fest, dass seit der Seerechtskonvention der UNO von 1982 sogenannte "historische Ansprüche" konsumiert und unerheblich sind. Siehe zum Schiedsspruch diese Geschichte.
Peking hatte umgehend angekündigt, den Spruch nicht zu akzeptieren, und ließ, wie schon früher, Flotten- und Küstenwacheinheiten in der Region operieren. Dort erheben auch die Anrainer Malaysia, Brunei und Taiwan Hoheitsansprüche, die sich teils mit jenen Chinas und teils untereinander überschneiden. Zuletzt hatte Peking auch das große Inselreich Indonesien verärgert, weil Fischerei- und sogar Küstenwachschiffe mehrfach in eindeutig und unumstritten indonesische Gewässer eindrangen.
Vietnam überlegt nun ebenfalls, gegen China vor den Schiedshof in Den Haag zu ziehen. Hanoi reklamiert etwa zwei Dutzend Inseln und Riffe der Spratly-Inseln, von denen einige chinesischen "Inselfestungen" sehr nahe sind. Es beansprucht auch die näher liegenden Paracel-Islands, die seit 1974 freilich de facto komplett von China kontrolliert werden.
Vietnams Schwäche zur See
Die Landungsschiffe der Polnocny-Klasse wurden in den 1960ern mit sowjetischer Mitwirkung in Polen entwickelt (Polnocny bedeutet "Norden") und bis in die 1980er hinein zu etwa 107 Stück gebaut, von denen noch rund 33 aktiv sind, darunter drei in Vietnam, sechs in Russland sowie weitere Einheiten u. a. in Algerien, Angola, Syrien, Indien.
Sie sind unterschiedlich konfiguriert, die drei der Vietnamesen sind je 73 Meter lang und können sechs bis acht Panzerfahrzeuge und in etwa eine Kompanie Infanterie (100 bis 150 Mann) tragen. Zur Verteidigung dienen 30-Millimeter-Zwillingsschnellfeuerkanonen, tragbare Luftabwehrraketen, und anders als die meisten westlichen Gegenstücke solcher Panzerlandungsschiffe können die Polnocnys auch noch kräftig artilleristisches Unterstützungsfeuer auf die Landungszone legen, nämlich mit typischerweise zwei 18-rohrigen Raketenwerfern.
Die aktuelle Stärke und Zusammensetzung der vietnamesischen Marineinfanterie gilt als undurchsichtig. 2010 soll sie laut dem International Institute for Strategic Studies in London mit rund 30.000 Mann der zweitgrößte Marines-Verband weltweit nach dem US Marine Corps gewesen sein, allerdings konnten andere Beobachter das nicht nachvollziehen. Aktuelle Recherchen sind extrem mühsam, in einer Quelle ist halbwegs nachvollziehbar von zwei Brigaden mit zusammen 4000 bis 5000 Mann die Rede.
Ungeachtet dessen dürfte eine militärische Auseinandersetzung zur See mit China für Vietnam schon mittelfristig nicht zu gewinnen sein: Dazu ist die chinesische Flotte (die zweitgrößte der Welt) samt Marineinfanteriekorps - letzteres zählt mindestens 12.000 Mann und ist rasch verdoppelbar - einfach haushoch überlegen, zudem die meisten vietnamesischen Kriegsschiffe veraltet sind und primär zum Küstenschutz taugen. Auch die derzeit fünf dieselelektrischen U-Boote der modernisierten russischen "Kilo"-Klasse wiegen im Kräftevergleich nicht sehr viel.
Verlorene Seeschlachten 1974 und 1988
Hier seien beispielhalber nur zwei größere, feuerstarke Schiffsklassen aus dem gesamten Schiffsspektrum einander gegenübergestellt: Vietnams Volksmarine verfügte zuletzt über sieben Fregatten und elf Korvetten. Chinas Volksmarine hingegen über 47 Fregatten und 26 Korvetten - ein Verhältnis von 4:1 zugunsten Chinas.
Vietnamesische Flotten sollen in alten Zeiten - in den Jahrhunderten vor Christus und bis ins 18. Jahrhundert - chinesischen, aber auch mongolischen und siamesischen Flotten zwar mehrfach schwere Niederlagen bereitet haben. Bei Seegefechten der jüngeren Ära gegen die Chinesen schnitten die Vietnamesen allerdings schlecht ab und erlitten im Vergleich zu diesen überproportional hohe Verluste: Siehe die Seeschlacht bei den Paracel-Inseln im Jänner 1974, nach der China sich letztlich des ganzen Archipels effektiv bemächtigen konnte, und das Gefecht um Johnson South Reef (Spratly-Inseln) im März 1988.