"Arctic Sea": Hat Mossad Waffenschmuggel verhindert?

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Der israelische Geheimdienst soll die russische Erstürmung des Frachtschiffs „Arctic Sea“ veranlasst haben. An Bord dürften Raketen für den Iran gewesen sein.

London. Das Geheimnis rund um den vor zwei Wochen von der russischen Kriegsmarine aufgestöberten Frachter „Arctic Sea“ wird immer mysteriöser: Der israelische Geheimdienst Mossad soll seine Finger im Spiel gehabt und die russische Marine veranlasst haben, das Frachtschiff zu stürmen.

Wie die Londoner „Sunday Times“ berichtet, soll das am 24. Juli angeblich entführte und ab 29. Juli verschollene Schiff russische S-300-Raketen für den Iran an Bord gehabt haben. Der Mossad habe den Kreml informiert, woraufhin Moskau eingegriffen habe, um einen „riesigen diplomatischen Skandal zu verhindern“, hieß es unter Berufung auf israelische und russische Quellen.

Über den möglichen Schmuggel von Drogen oder Waffen auf der „Arctic Sea“ wird bereits seit 17. August spekuliert, als das Schiff vor Kap Verde entdeckt und die Besatzung befreit wurde. In der Vorwoche berichteten mehrere Medien, darunter die „Salzburger Nachrichten“, über den Verdacht des Schmuggels der Kurzstreckenrakete S-300.

Der estnische Admiral und EU-Beobachter für Piraterie, Tarmo Kouts, widersprach offen der offiziellen russischen Version, wonach der Frachter Holz geladen hatte: „Es gibt den Verdacht, dass Raketen an Bord waren. Als Seemann mit vielen Jahren Erfahrung kann ich sagen, dass die offizielle Version nicht der Wahrheit entspricht“, sagte er dem US-Nachrichtenmagazin „Time“.

Finnisches Holz als Tarnung

Ein namentlich nicht genannter russischer Militär, der an den Ermittlungen über die Vorfälle auf der „Arctic Sea“ beteiligt ist, sagte der Moskauer „Komsomolskaja Pravda“, die Untersuchungen konzentrierten sich auf den Schmuggel von S-300- oder X-55-Raketen in den Iran. Das Schiff wurde nach einer Reparatur in Kaliningrad beladen, das finnische Holz, das angeblich nach Algerien transportiert werden sollte, sei nur Tarnung gewesen. Die „Arctic Sea“ wurde dann, so wurde behauptet, auf ihrer Fahrt am 24. Juli von Piraten vor Gotland in der Ostsee überfallen und verschwand.

Auch an dieser Version bestehen mittlerweile massive Zweifel. Die Entführer, sechs estnische Staatsbürger russischer Herkunft und zwei Letten, sitzen derzeit in russischer Haft. Nach lettischen Agenturangaben bestreiten sie die Tat. Der Londoner „Sunday Telegraph“ berichtete über die sechs estnischen Entführer und nährte massive Zweifel, wie acht Männer mit keiner bis geringer Seeerfahrung und einem Hintergrund als Kleinkriminelle von einem Schlauchboot aus ein Frachtschiff kapern konnten. Die Gerüchte am Brodeln hält Moskau, indem es die 15 Mannschaftsmitglieder der „Arctic Sea“ seit ihrer Befreiung von jedem Kontakt mit der Außenwelt abhält.

Als merkwürdig wird von Beobachtern in Moskau auch der Umstand bewertet, dass die russische Kriegsmarine eigens ausrückte, um ein Schiff mit der vergleichsweise bescheidenden Ladung von Holz im Wert von 1,5 Millionen Euro aufzuspüren. Auch die Beladung in Kaliningrad gibt zu denken: Die russische Exklave gilt als Hochburg aller Arten des Schmuggels und der Gesetzlosigkeit.

Unklar bleibt weiter, ob der angebliche Waffenschmuggel in den Iran (andere Quellen nennen auch Syrien oder die Hamas als mögliche Empfänger) mit Wissen des Kreml erfolgte. Aus israelischen Quellen heißt es, man habe Moskau „eine Riesenblamage erspart“; hinter dem versuchten Schmuggel seien Mafiakreise gestanden.

Möglicherweise aber sind die Grenzen hier nicht so klar: Der russische Journalist Michail Wojtenko, der als Erster das Verschwinden der „Arctic Sea“ von den Radarschirmen gemeldet hatte, flüchtete in der Vorwoche nach einem Drohanruf aus Russland.

Anruf von „ganz oben“

Der Anruf sei von „ganz oben“ gekommen, sagte er dem Radiosender „Echo Moskvy“. Sofort, nachdem Wojtenko in seinem Schifffahrtsbulletin das Verschwinden der „Arctic Sea“ gemeldet hatte, ordnete Präsident Dmitrij Medwedjew das Eingreifen der Marine an. Es war nicht das letzte Mal, dass sich der Präsident persönlich engagierte: Einen Tag, nachdem Russland die Aufbringung des Frachters gemeldet hatte, erhielt Präsident Medwedjew einen Blitzbesuch des israelischen Präsidenten in seiner Sommerresidenz in Sotschi. Das Thema des Gesprächs blieb geheim.

AUF EINEN BLICK

Am 21. Juli verließ der Frachter „Arctic Sea“ den finnischen Hafen Pietarsaari. In der Nacht auf den 25. Juli sollen vor Gotland (Schweden) Bewaffnete den Frachter gekapert haben. Die letzte Positionsmeldung erfolgte am 29. Juli im Ärmelkanal. Dann wurde es still um die „Arctic Sea“. Am 17.8. wurde sie vor Kap Verde von der russischen Marine gestürmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2009)

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