Syrien: Regime, Rebellen und Moskau rüsten zur Entscheidungsschlacht

Kampf um Aleppo. Einheiten der Rebellen bei Gefechten im Südwesten der syrischen Millionenstadt. Der Ausgang der Schlacht könnte entscheidend für den Krieg sein.
Kampf um Aleppo. Einheiten der Rebellen bei Gefechten im Südwesten der syrischen Millionenstadt. Der Ausgang der Schlacht könnte entscheidend für den Krieg sein.(c) APA/AFP/FADI AL-HALABI
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Alle Streitparteien wollen in Aleppo siegen, um den Krieg für sich zu entscheiden. Russland muss erkennen, eine militärische Lösung nicht erzwingen zu können. Eine Analyse.

Beide Seiten setzen aufs Ganze. Beide Seiten werfen alles in die Schlacht. Denn in Aleppo könnte sich in den nächsten Monaten der syrische Bürgerkrieg entscheiden – das Schicksal der Opposition genauso wie das Schicksal des Regimes. Entsprechend erbittert sind die Kämpfe und verworren die Fronten. Kurdische YPG-Einheiten, die sonst mit den USA gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen, halfen dem Regime des Machthabers Bashar al-Assad, den aufständischen Osten Aleppos einzukesseln. Ausgerechnet al-Qaida-Brigaden, die von Washington als Terrororganisation geführt werden, sprengten am Wochenende die Belagerung wieder auf und bewahrten damit auch die internationalen Genfer Gespräche vor ihrem finalen Kollaps. Das Regime in Damaskus wiederum bietet derzeit alles an Verbündeten auf, um die drohende Strangulierung der eigenen Stadthälfte abzuwehren – Einheiten der Hisbollah, iranische und irakische Milizen, ja selbst palästinensische Hilfskommandos. Assads Soldaten dagegen scheinen nach gut fünf Jahren Krieg so ausgelaugt, dass sie den zu allem entschlossenen Jihadisten trotz massiver russischer Luftunterstützung nicht mehr standhalten. Die Iraner wirken ebenfalls kriegsmüde. Und wie lang die Moral der Hisbollah jenseits der Kriegsrhetorik ihres Anführers Hassan Nasrallah noch hält, lässt sich schwer abschätzen.

Frontbegradigungen des Regimes

Die Stadt Aleppo mit ihrem blutigen Jeder-gegen-Jeden ist ein Mikrokosmos des syrischen Bürgerkriegs. Zwar betont der russische Außenminister, Sergej Lawrow, gern und oft, eine militärische Lösung in Syrien könne es nicht geben. Faktisch aber agiert das Expeditionskorps des Kreml seit fast einem Jahr so, als ließe sich der Sieg auf dem Schlachtfeld sehr wohl noch erzwingen. Und so wurde bei den Genfer Friedensgesprächen bisher nie ernsthaft verhandelt. Stattdessen nutzte das Assad-Regime, beflügelt von seinen russischen Waffenbrüdern, UN-Vermittler Staffan de Mistura lediglich als diplomatische Kulisse, um die Fronten rund um Aleppo im eigenen Sinne zu begradigen und eine Vorentscheidung zu erzwingen.

Seit dem Wochenende jedoch sieht alles wieder anders aus. Der Moskauer Generalstab hat seine strategische Rechnung offenbar ohne die verschlissene syrische Armee gemacht. Und so könnte mit einer Wende in Aleppo jetzt auch in Moskau die Einsicht reifen, dass dieser Konflikt mit Raketen, Flugzeugen und Panzern allein nicht zu gewinnen ist und nur die blutige Tragödie des syrischen Volkes verschlimmert.

Hätte Angriff auf Assad IS verhindert?

Denn der Zeitpunkt einer militärischen Intervention von außen, die den Krieg hätte beenden können, ist längst verpasst. Vielleicht wäre das noch im August 2013 möglich gewesen, als das Regime unter den Augen internationaler Waffenexperten kaltblütig und demonstrativ Wohnviertel Aufständischer nahe Damaskus mit Giftgas beschoss. Hätten sich die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Partner damals entschlossen, die Lufthoheit über Syrien zu erzwingen und das ganze Land zu einer Flugverbotszone für Assad-Jets zu machen, wäre das mörderische Baath-Regime wohl heute Geschichte und möglicherweise obendrein das spätere IS-„Kalifat“ der Welt erspart geblieben.

Al-Qaida-nahe Brigaden werden gefeiert

Drei Jahre und 100.000 Tote später existiert diese militärische Option nicht mehr – eine Einsicht, die mit dem Drama um Aleppo jetzt auch dem Kreml ins Haus stehen dürfte: Seine 4000 Bodensoldaten können das Blatt nicht wenden. Seine Luftwaffe kann Assads Armee keine permanente Übermacht herbeibomben. Stattdessen macht das massive Wüten der russischen Kampfflugzeuge ausgerechnet die der al-Qaida nahestehenden Brigaden zu den gefeierten Helden der syrischen Opposition.

In einer ähnlichen Klemme stecken auch die USA. Ihr Luftkrieg gegen die al-Nusra-Front, die sich mittlerweile umbenannt hat, schwächt gleichzeitig die moderaten Rebellen. Diese unterhalten mit den islamistischen Elitetruppen zahlreiche lokale Waffenbündnisse und wären ohne deren Kampfkraft längst untergegangen. Dementsprechend reduziert jede systematische Bombardierung von al-Qaida auch die strategische Bedrohung für das Assad-Regime und unterhöhlt dessen Bereitschaft, wirklich zu verhandeln.

Amerikanisches Doppelspiel

Auch wenn sich ihre Dilemmata in Syrien ähneln, die Gräben zwischen Washington und Moskau scheinen in den vergangenen Monaten eher gewachsen zu sein. Erst kürzlich titulierte US-Präsident Barack Obama sein Moskauer Gegenüber, Wladimir Putin, offen als einen Mann, dem man nicht trauen kann. Ungeachtet dessen bot das Weiße Haus dem Kreml eine engere Waffenkooperation gegen den IS und die Extremisten von al-Nusra an. Das amerikanische Doppelziel, zusammen mit den Russen den verheerenden Syrien-Konflikt zu beenden und gleichzeitig die Jihadisten niederzuringen, aber könnte durch ein Scheitern der Regimeblockade Aleppos neu belebt werden – und zwar ausgerechnet durch die Kesselbrecher von al-Qaida. Deren Sieg dürfte auch Moskau klar machen, dass einzig eine in Genf ausgehandelte politische Übergangsführung diese globale Krise tatsächlich beenden kann.

AUF EINEN BLICK

Die Schlacht um die nordsyrische Millionenstadt Aleppo ist zentral für den weiteren Verlauf des Krieges. Sowohl Regime als auch Rebellen setzen deshalb alles daran, in Aleppo zu siegen. Nach schweren Gefechten ist es den Aufständischen wieder gelungen, den Belagerungsring zu durchbrechen, den die syrischen Regimetruppen um den Osten der Stadt gelegt haben. Der Ostteil Aleppos wird nach wie vor von den Rebellen kontrolliert, der Westteil befindet sich in den Händen des Regimes von Machthaber Bashar al-Assad. Auf Seiten Assads marschieren nun nicht nur iranische Eliteeinheiten und die libanesische Hisbollah, sondern auch schiitische Milizen aus dem Irak auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2016)

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