Ballhaus oder Burgtheater?

Matthias Hartmann hat das erste Wochenende als Direktor hinter sich – eine Bilanz seiner Ära.

Zu den größten Leistungen des großen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (1911–1990) zählte, dass er seinem Volk immerwährend souverän den Eindruck vorspiegeln konnte, Österreich sei etwas ganz Besonderes, die Welt höre auf dieses durch ihn repräsentierte Land. Die schönen Tage auf der Insel der Seligen sind längst zu Ende, aber ein wenig Abglanz des Sonnenkönigs hat sich erhalten. Wir sind eben doch wer, könnte man meinen, wenn es sich um das Burgtheater handelt. Da ergibt sich in einer günstigen Stunde sogar, dass dieses Haus nicht nur Stadtgespräch ist, sondern dass sich Klopffechter von Kapstadt bis Hamburg seitenweise über das Drama in Wien auslassen, der ewigen Stadt der Kultur. Vier Seiten über das Burgtheater im deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, Abrechnungsorgien in der „FAZ“ und in der „Welt“, zudem eine kühle, ausufernde Reminiszenz aus dem befreiten Zürich, Ratlosigkeit im neidischen München. Der Saisonauftakt als Staatsoperette.

O glückliches Österreich, andere mögen über Subprime-Desaster reden, hierzulande ist das nur Bühnenstoff, hier sind die Minister und Banker in den Foyers, die Trafikanten in Meidling und die Taxler in Hietzing für eine Weile damit beschäftigt, im Streitgespräch endgültige Gewissheit darüber zu erlangen, ob das frische Gretchen nun mit dem spröden Faust kann oder nicht, ob den Mephisto nach anstrengender Premiere als Pudel nur ein Hals-Nasen-Ohren- oder, Gott behüte, gar ein Herzproblem plage. Er wird am Freitag wieder spielen? Dem Himmel sei Dank!


Der aus Osnabrück stammende, über Bochum und Zürich nach Wien gelangte Matthias Hartmann (*1963) eröffnete eben seine erste Spielzeit als Leiter des ehemaligen „Theaters nächst der Burg“ (*1748), das bald zum „Teutschen Nationaltheater“ (1776) mutierte, dann zum „k.k. Hoftheater“ (1794); pompös war die Regie, mit konventionellen, dann auch eigenwilligen und zuweilen auch zauberhaften „Faust“-Szenen. Hartmann ließ in rascher Folge im Akademietheater und im Kasino Ur- und Erstaufführungen geben.

Der Mann ist bereits seit einer Woche im Amt. Also wäre es für Wiener Verhältnisse längst an der Zeit, ein Urteil über seine Ära zu fällen. Was kann er denn? Der ist ja nicht einmal Wiener. Und warum tut er sich das überhaupt an? Nun, den Saisonbeginn hat der Direktor Hartmann sicherlich besser inszeniert als der Regisseur Hartmann Goethes Welttheater. Roland Schimmelpfennigs „Der goldene Drache“ war ein Triumph, Dea Lohers „Adam Geist“ wurde bejubelt, die Truppen, die demnächst aus den USA oder Belgien antanzen werden, sind längst etabliert, und selbst den „Faust“, der von der Kritik fast durchwegs verrissen wurde, hat das Premierenpublikum äußerst freundlich aufgenommen.


Dessen Gunst ist das Ausschlaggebende. Wenn das Haus voll ist, weil ein populäres, buntes Programm geboten wird, mit einem großartigen Ensemble, kann es Hartmann herzlich egal sein, ob die Kritik schäumt. Sein Ruf als Regisseur mag bei dem noch zu erwartenden Ego-Trip in Mitleidenschaft gezogen werden, den Erfolg als Direktor muss das nicht beeinträchtigen. Ja, der Neue könnte sich sogar auf der sicheren Seite wissen, wenn er das Unbehagen am Regisseurtheater teilte, das unlängst der Schriftsteller Daniel Kehlmann bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele äußerte. Kritikerschelte hat noch keinem coolen Intendanten geschadet.

Aber Hartmann wird es wohl differenzierter angehen. Sein dreist hingeklotzter „Faust“-Versuch ist dafür paradigmatisch. In ihm mischte er Altbackenes, Neumodisches und sogar Interessantes. Eine Kolonialwarenhandlung – war das nicht auch das Konzept von Claus Peymann (*1937), der vor gut 20 Jahren vom grandiosen Pappnasentheater über das politisch Halbstarke bis zum zweifelhaften Off-Theater-Experiment alles in die große Burgtheater-Kiste packte? Souverän hat dieser binnen einer Woche verwienerte Deutsche den Österreichern die Vorstellung gegeben, dass die Welt auf sie blicke, weil sie an seinem Welttheater teilhaben durften – mochten sie auch noch so hysterisch protestieren. Es lebe die Illusion!

Ist Hartmann so gut wie Peymann? Das kommt auf den Standpunkt an. Der kann wechseln. Ein Beispiel: Ferdinand I. ließ 1540 im Lustgarten ein Ballhaus erbauen, dort übte man eine Frühform des Tennis. Aus diesem alten Centre-Court wurde das Burgtheater, anstelle des neuen Ballhauses liegt heute der Ballhausplatz, auch eine Art Theater. Dort spielte Kreisky, unterhaltsam wie Voss, ein Stranitzky der Weltpolitik.

Feuilleton zum Burgtheater Seite 23


norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2009)

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