Dolly Buster: "Mich hat Moral nicht interessiert"

Alles Konservative ablegen und anders sein – das habe sie immer als Ziel gehabt, erzählt Dolly Buster.
Alles Konservative ablegen und anders sein – das habe sie immer als Ziel gehabt, erzählt Dolly Buster.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die einstige Pornodarstellerin Dolly Buster ist viele Jahre nach ihrem Ausstieg aus dem Geschäft als Malerin und Restaurantbetreiberin aktiv. Ihre frühere Tätigkeit bezeichnet die gebürtige Tschechoslowakin als Kunst, Scheu habe sie von Anfang an nicht gehabt. Von der "gesellschaftlichen Mitte" wolle sie bis heute nichts wissen, erzählt sie.

War Ihnen eigentlich schon früh klar, dass Erotik zu Ihrem Lebensthema wird?

Dolly Buster: Eigentlich schon. Alles, was ich diesbezüglich irgendwo im Fernsehen gesehen habe, versuchte ich sofort nachzuahmen. Wiewohl das tschechische Fernsehen damals nicht wahnsinnig erotisch war. Kurze Röcke haben mich in frühestem Alter fasziniert. Ich habe Fruchtbarkeitstänze getanzt, wo die Leute dachten, das ist für ein Kind jetzt nicht ganz normal. Und ich wollte schon als kleines Mädel berühmt werden.


Das ist Ihnen geglückt. Nun beherrscht Erotik auch Ihre (in einer Kunsthochschule erlernte) Malerei. Warum?

Weil es mir nicht anders möglich ist. Erotik ist einfach zu essenziell für mich. Ich wäre nicht imstande, ein Bild zu malen, das etwas anderes zum Thema hätte. Selbst, wenn es sich um eine Frau mit einer Träne im Auge handelt, strahlt sie bei mir Erotik aus.


Sie malen hauptsächlich Damen. Warum?

Weil man an jeder Frau, ungeachtet von Alter, Hautfarbe oder Konfektionsgröße etwas Erotisches finden kann. Das reizt mich. Es macht mir nicht viel Spaß, einen Mann zu malen. Stefan Raab hab ich mal gemalt, das war vom Gefühl her so, als hätte ich eine Tasse Kaffee als Sujet gewählt. Das ist nicht böse gemeint. Ich mag den Raab ja. An Jörg Pilawa bin ich gescheitert. Ich konnte den Mann nicht zu Ende malen. Die zweite Gesichtshälfte wurde weiblich.


Haben Sie sich das Handwerkszeug dafür auf der Staatlichen Kunsthochschule in Prag geholt?

Dafür war ich zu kurz dort. Meine Familie ist bald nach meinem Eintritt nach Deutschland ausgewandert.


Wie alt waren Sie da?

Dreizehn. Zunächst musste ich Deutsch lernen. Alles ganz langsam. Mein Vater bekam dann einen Job beim Frankfurter Flughafen. Just zu jener Zeit, als Bürger von Oststaaten noch um Asyl ansuchen durften. Mein Vater wurde oft ersucht, als Dolmetscher bei der Grenzschutzpolizei auszuhelfen, wenn man zu später Stunde keinen mehr offiziell buchen konnte. Weil ich besser Deutsch konnte, half ich ihm. Das hab ich ausschließlich nachts getan. Es war sehr gut bezahlt.


Wie passierte dann der Sprung in die Pornobranche?

Die Sache mit der Grenzschutzpolizei lief irgendwann aus, weil keine Flüchtlinge mehr kamen. Ich habe weiter das Gymnasium besucht, hatte keinen Plan für mein Leben. Mein Vater hat sich immer gewünscht, dass ich Polizistin werde. Wie viele andere Mädchen, träumte ich eher davon, Tierärztin oder Kosmetikerin zu werden.


Hatten Sie eine behütete Kindheit?

Würde ich schon sagen. Lange Zeit ließen mich meine Eltern nachts nur zur Bundesgrenzschutzpolizei. Ausgehen gab es nicht. Als ich das erste Mal eine Diskothek besuchte, wurde ich angesprochen, ob ich denn nicht Nacktfotos machen wollte. Das tat ich dann auch. Daraus hat sich alles Weitere entwickelt.


Hatten Sie keinerlei Scheu?

Überhaupt nicht. Es waren zunächst Fotos mit einem anderen Mädchen. Alles war nur angedeutet. Pornografie war das noch keine.


Ihren Ehemann, den aus Wien gebürtigen Pornoproduzenten Dino Baumberger, haben Sie früh kennengelernt. Wie geschah das?

Über ein Missverständnis. Ich wurde in einen Swingerklub gebeten, wo ich auf den Fotografen wartete. Er wartete zur selben Zeit in dem Club auf eine Darstellerin und dachte, ich sei das. Als ich verneinte, fragte er mich, ob ich es sein wollte. Ich sagte: „Weiß ich nicht.“ Und so ist es dann passiert.


In der Folge waren Sie Darstellerin in 50, 60 Pornos. Haben Sie diese Arbeit als Abenteuer interpretiert?

Nein, für mich war das Kunst. Auch wenn jetzt wieder viele lachen werden, ich behaupte, Porno ist Kunst. Schauen Sie mal Arte. Dort laufen viele Filme, die Elemente von Porno enthalten.


Der Philosoph George Bataille, der mit „Das obszöne Werk“ einen Pornoklassiker geschrieben hat, hat sich einmal gefragt, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Er kam auf drei Merkmale: Arbeit, Todesbewusstsein und gezügelte Sexualität. Arbeitet die Pornografie gegen zivilisatorische Errungenschaften?

Das sehe ich nicht so. Die Kirche nimmt ja heutzutage keiner mehr ernst. So was wie Pornografie ist fast schon in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Ihr Schockpotenzial ist überschaubar. Mich persönlich hat Moral bei dem, was ich machte, nicht interessiert.


Gaben Sie sich auch privat erotisch?

Ja, mit viel Leidenschaft. Dafür wurde ich aber auch gemobbt, gehasst und beleidigt. Das hat mich aber nicht einmal geärgert. Ich fühlte mich beinahe geehrt, weil es mich abgehoben hat von der Masse.


Fühlten Sie, dass Sie mit Erotik Macht ausüben können?

Sie gab mir Selbstbewusstsein, ein Gefühl der Überlegenheit, weil ich auf einer Ebene erfolgreich war, die die anderen verdrängen. Das bewusste Abweichen vom Mainstream war schon früh ein zentrales Motiv bei allem, was ich so machte.


Ging es Ihnen auch darum, persönliche Grenzen beständig zu überschreiten?

Mir ging es darum, alles Konservative abzulegen und anders zu sein.


Ein „Startvorteil“ war wohl, dass Sie, die in einem kommunistischen Staat aufgewachsen sind, keinerlei religiöse Moral anerzogen bekamen. Sehen Sie das auch so?

Das könnte man so sagen. Ich bin religionsfrei aufgewachsen, was viel moderner ist. Im Kommunismus herrschte deshalb auch ein viel natürlicherer Zugang zum Körper. Diese gehemmte Anti-Sex-Haltung hab ich erst in Deutschland kennengelernt. Da dachte ich, ich wäre um Jahrhunderte zurückgeworfen.


Täuscht der Eindruck, oder haben Sie nach Ihren subversiven Jahren in der Pornoindustrie bewusst die Nähe zur gesellschaftlichen Mitte gesucht?

Das habe ich nicht. Die gesellschaftliche Mitte ist undankbar und böse. Ich möchte nicht einmal anerkannt sein. In dem Moment, in dem du anerkannt bist, hasst dich der Nächste dafür.


Sie haben eine Zeit lang mit der Firma von Beate Uhse kooperiert. Haben Sie sie jemals persönlich getroffen?

Nein. Soviel ich weiß, war sie eine verdammt konservative Frau. Eigentlich komplett das Gegenteil von dem, was man so glaubt. Das war wohl auch der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Eine Spießerin erkannte, wonach die Spießer Sehnsucht hatten.


Heute wird Uhse gern als „Mutter Courage des Tabubruchs“ bezeichnet. Sie war vor dem Krieg Pilotin und hat nach dem Krieg mitgeholfen, die weibliche Sexualität vom Kinderkriegen zu entkoppeln . . .

So tiefgründig habe ich das noch nicht betrachtet. Im Grunde ihres Herzens war sie eine verdammt konservative Frau, der es aber in erster Linie darum ging, Geld zu verdienen. Dennoch bin ich dankbar für ihre Vorarbeit. Sie hat ja den Weg für mich und für Kolleginnen wie Teresa Orlowski geebnet.


Sie sind der festen Überzeugung, dass sexuelle Treue eine Illusion sei. Warum?

Weil es so ist. Im Grunde genommen, gibt es gar keinen Anlass für sexuelle Treue. Eine Katastrophe ist, wenn man sich an eine gesellschaftliche Norm halten soll, die schlicht willkürlich ist. Wenn ich treu bin, dann nur, weil ich zu faul bin, um untreu zu sein. Ein „Gehörtsich“ kenn ich in meinem Leben nicht.


Zerstört Porno die natürliche Erotik, indem er formatiert, was erregend zu sein hat?

Nein. Man kann Porno locker ignorieren, wenn man seine eigene Erotik schützen will. Wenn man überhaupt eine hat . . .


Haben Sie als Regisseurin von Pornofilmen den viel zitierten weiblichen Blick eingebracht?

Ach, ich weiß nicht. Ich denke, ich hab da ganz ähnlich wie mein Mann gearbeitet. Mit viel Gefühl und ein paar Gedanken im Hinterkopf, was sich der Konsument wohl wünschen würde.


Entsteht beim Dreh Lust, oder regiert der Stress?

Es entsteht fast immer Lust. Nur, wenn ein TV-Team so einen Pornodreh dokumentiert, was in den Neunzigerjahren oft passiert ist, wird es oft ein wenig verkrampft. Fernsehen zerstört den Kunstcharakter von Porno.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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